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Herr Palomar

Herr Palomar

Titel: Herr Palomar
Autoren: Italo Calvino
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Seitenstößen rings um das kleine Rasenrondell. Das Weibchen scheint sich gegen den Angriff zu wehren, zumindest setzt es ihm eine gewisse Trägheit entgegen. Das Männchen ist kleiner und viel aktiver, man möchte fast sagen, ein junger Heißsporn: Immer wieder versucht er, die Partnerin zu besteigen, aber ihr Rückenpanzer ist steil und er gleitet ab.
     Jetzt müßte es ihm gelungen sein, sich in die richtige Position zu bringen: Er preßt sich an sie und drückt sie mit rhythmischen Stößen, hält inne, drückt weiter; bei jedem Stoß entfährt ihm ein fipsiges Keuchen, beinahe ein Schrei. Sie stemmt die Hinterbeine fest auf den Boden, so daß sich ihr Hinterteil hebt. Er scharrt mit den Vorderfüßen auf ihrem Panzer, reckt den Hals und hängt japsend über ihr. Das Problem mit diesen Schildpanzern ist, daß sie keinen Halt bieten, und im übrigen können die Füßchen nicht greifen.
     Jetzt läuft sie ihm weg und er hinterher. Nicht daß sie geschwinder wäre oder besonders entschlossen, ihm zu entkommen: Er schnappt mit dem Maul nach ihr, um sie zu halten, beißt sie ein paarmal leicht in ein Beinchen, immer ins selbe. Sie wehrt sich nicht. Jedesmal wenn sie stehenbleibt, versucht er wieder, sie zu besteigen, aber dann macht sie ein Schrittchen nach vorn und er gleitet ab, so daß sein Glied auf den Boden schlägt. Es ist ein ziemlich langes Glied, fast hakenförmig gebogen; so wie es aussieht, möchte man meinen, er müßte sie damit eigentlich ganz gut erreichen können, trotz der störenden Panzer und der mißlichen Position. Daher kann man nicht sagen, wie viele seiner Vorstöße wohl gelingen, wie viele danebengehen und wie viele bloßes Spiel sind, Theater.
     Es ist Sommer, der Hof ist kahl bis auf einen Jasminstrauch in einer Ecke. Das Liebesspiel besteht darin, immer wieder das Rasenrondell zu umkreisen, mit Verfolgungen, Fluchten und kleinem Geplänkel nicht der Füßchen, sondern der Panzer, die dumpf aneinanderklacken. Schließlich versucht das Weibchen, sich zwischen die Stämmchen des Jasmins zu verkriechen. Es glaubt wohl (oder gibt vor), sich dort zu verstecken, aber in Wirklichkeit ist das der sicherste Weg, sich von dem Männchen stellen zu lassen, ohne noch einen Ausweg zu finden. Jetzt dürfe es ihm gelungen sein, das Glied richtig einzuführen, aber diesmal verharren die beiden reglos und still.
     Welche Gefühle haben zwei Schildkröten, die sich paaren? Herr Palomar kann sich's nicht vorstellen. Er beobachtet sie mit kühler Aufmerksamkeit, als wären sie zwei Maschinen: zwei elektronische Schildkröten, programmiert auf Paarung. Was ist Erotik, wenn man statt der Haut einen Knochenpanzer und Hornplatten hat? Aber ist nicht auch das, was wir Erotik nennen, ein Programm unserer Körpermaschinen, nur komplizierter, weil unser Gedächtnis die Nachrichten jeder Hautzelle, jedes einzelnen Moleküls der Gewebe aufnimmt und multipliziert, indem es sie mit den Impulsen kombiniert, die ihm von den Sehnerven übertragen und von der Vorstellung suggeriert werden? Der Unterschied liegt nur in der Zahl der beteiligten Regelkreise: Milliarden von Drähten führen von unseren Rezeptoren zu jenem Computer der Gefühle, der Konditionierungen, der Bande zwischen Person und Person … Erotik ist ein Programm, das sich in den elektronischen Wirrnissen des mentalen Sinnes abspielt, aber Sinn ist auch Haut: berührte, gesehene, erinnerte Haut … Und die Schildkröten, eingeschlossen in ihre fühllosen Panzer? Womöglich zwingt sie die Kargheit an Sinnesreizen zu einem hochkonzentrierten und intensiven Geistesleben, führt sie zu einer glasklaren inneren Erkenntnis … Vielleicht folgt die Erotik der Schildkröten absoluten spirituellen Gesetzen, während wir Menschen Gefangene einer Maschinerie sind, deren Funktionsweise wir nicht kennen und die sehr störungsanfällig ist, sich verklemmen oder in unkontrollierte Selbsttätigkeit ausbrechen kann?
     Ob die Schildkröten sich wohl besser begreifen? Nach etwa zehnminütiger Paarung lösen die beiden Panzer sich voneinander. Sie voran, er hinterher, fangen sie wieder an, das Rondell zu umkreisen. Er bleibt jetzt etwas weiter zurück, scharrt noch ab und zu mit dem Füßchen auf ihrem Panzer, kriecht noch ein bißchen auf sie hinauf, aber ohne viel Überzeugung. Sie kehren zurück unter den Jasmin. Er beißt ihr ein bißchen ins Bein, immer an derselben Stelle.

Das Pfeifen der Amseln
    Herr Palomar hat das Glück, den Sommer an einem Ort zu verbringen, wo
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