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Herr Möslein ist tot (German Edition)

Herr Möslein ist tot (German Edition)

Titel: Herr Möslein ist tot (German Edition)
Autoren: Tatjana Meissner
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sagen möchte, dass ich heute unabhängig von ihr mit meinem eigenen Auto nach Berlin fahren möchte. »Tati, du musst mich mitnehmen. Mein Trabi ist krank. Er ruckelt und zuckelt und bleibt immer stehen«, sagt sie und guckt dabei so traurig, als ob sie selbst von einer tödlichen Pandemie betroffen ist.
    »Ach Gott! Das ist in diesem Land ja eine Katastrophe. Hast du schon die Zündkerzen mit der Drahtbürste gereinigt?«, frage ich mitfühlend.
    »Na klar, das machen wir doch immer. Aber diesmal hilft es nicht. Und neue Zündkerzen gibt es auch nicht. Ich muss heute mit dir mitfahren. Holst du mich ab?« Betty ist untröstlich, ich auch irgendwie.
    »Aber ich kann dich nicht zurück nach Potsdam bringen, Betty. Ich habe um ein Uhr einen Termin in Berlin.«
    Wir verabschieden uns mit der Verabredung, dass ich sie um 21 Uhr abhole, und der klitzekleinen Hoffnung, dass sie doch noch Zündkerzen besorgen kann.
    Ich fahre mit Pauli weiter zum Restaurant Hiemke nach Babelsberg, wo ich uns zur Feier des Tages ein leckeres Mittagessen spendieren will. Meine innere Unruhe, die ich auf den bevorstehenden Umbruch in meinem Leben schiebe, scheint sich auf Pauli zu übertragen. Sie plappert ununterbrochen mit ihrer unechten, wahrscheinlich Weichmacherverseuchten Barbie-Puppe, die sie bei einem Kurzurlaub in Ungarn nach langem Geschrei und schweren Herzens – wegen der wenigen Forints, die wir umtauschen durften – von mir geschenkt bekam.
    Hiemkes Restaurant in der böhmischen Weberkolonie Nowawes steht für deftige Küche und ist immer gut besucht. Pauli und ich ergattern einen Platz im vorderen Raum und bestellen Eisbein, Sauerkraut und Kartoffeln für 4,20 Mark. »Moment, ick bringe ihnen noch Mostrich!«, sagt der Kellner. Ich freue mich über das längst vergessene Wort für Senf, beobachte Pauli und gestehe mir selbstkritisch ein, dass meine Fähigkeiten als Köchin wirklich nur rudimentär vorhanden sein können, wenn mein Kind, ohne auf den Mostrich zu warten, dermaßen gierig Hiemkes Essen verschlingt. Zu Hause angekommen, wasche ich noch schnell Wäsche, räume die ganze Wohnung auf und sauge mit meinem AKA HSS 09 sogar Heinzis Zimmer mit durch.
    Bis zur abendlichen Pauli-Übergabe an den dankbaren Heinz, der auch den morgigen Pauli-Frühdienst ohne Murren übernehmen will, habe ich vor lauter Stress nicht ein einziges Mal an Carsten und das bevorstehende Date gedacht.
    Pünktlich um 21 Uhr hole ich Betty ab. Sie hat keine Zündkerzen mehr bekommen und verspricht, sich etwas einfallen zu lassen, damit ich meinen Termin in Berlin wahrnehmen kann. Als wir durch das dunkle Treptow Richtung Mitte fahren, sagt Betty plötzlich: »Sag mal, Tati, findest du nicht auch, dass irgendwie mehr Menschen auf der Straße sind als sonst?«
    »Ja Betty!«, antworte ich und werde plötzlich genauso sentimental, als ob ich eine Doku über die Wendezeit sähe.
    »Ist heute irgendetwas Besonderes in Berlin angesagt?«
    Wir haben kein Autoradio, und Betty hat natürlich auch nicht die »Aktuelle Kamera« geguckt. Das haben wir nie getan. Aber diesmal habe ich es nachgeholt und genau zugehört, was Schabowski und die Sprecherin Angelika Unterlauf, die später Erich Böhme heiraten würde, zum Thema Reisereglung zu sagen hatten. Ich erzähle Betty von der Pressekonferenz. »Mhm«, Betty überlegt, »das heißt ja, dass wir uns ein Visum holen und ab morgen, so oft wir wollen, in den Westen reisen und auftreten können.« Betty ist verhalten. Noch fehlt ihr, wie allen DDR -Bürgern, die Vorstellungskraft, was sich aus dem Fakt der Maueröffnung entwickeln wird. Ich verstehe ihre Skepsis. Ich bin mir ganz sicher, dass ich damals auch nach der berühmten Pressekonferenz nie darauf gekommen wäre, dass Schabowskis Verplapperer zu einer sofortigen Öffnung der Grenze führen könnte. Letztlich war es ja auch nicht Schabowski, es waren die Menschen, die die Worte Schabowskis einfach nur richtig verstanden haben und sofort zu den Grenzübergängen geströmt sind. Ich schaue auf meine Uhr, es ist jetzt 21.30 Uhr. »Betty, alle DDR -Bürger können schon heute Nacht rüberfahren. Ich werde es machen. Ich bin mit Carsten verabredet!«
    »Du meinst, die Grenze ist offen? So richtig? Boah! Hammer!« Betty wirkt fast berauscht und wundert sich gar nicht, wieso ich mich mit Carsten verabreden konnte. Am Café Moskau springt sie aus dem Trabi und rennt los. Ich kann ihr kaum folgen. Die erste Frage, die Betty beim Betreten der Künstlergarderobe an
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