Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herr Klingsor konnte ein bißchen zaubern.

Herr Klingsor konnte ein bißchen zaubern.

Titel: Herr Klingsor konnte ein bißchen zaubern.
Autoren: Otfried Preußler
Vom Netzwerk:
überhaupt nicht der Rede wert.
    Na gut, also Sommer- und Wintersprossen. Tausend winzige rostbraune Tüpfelchen, über das ganze Gesicht verstreut. Aber die Steffi war ja von klein auf daran gewöhnt. Außerdem fand sie es lustig, weil alle Leute das lustig fanden. Die Bäckersfrau und der Herr Schaffner in der elektrischen Straßenbahn, das Fräulein Zimmermann im Handarbeitsgeschäft, die Verkäuferinnen in der Markthalle, ja sogar der Herr Schuldiener Büttner an seinem Würsteltopf - wo die Steffi auch auftauchte, alle machten sofort ein freundliches Gesicht und riefen ihr ein paar nette Worte zu, etwa: »Da kommt ja die rote Steffi, das sommersprossigste Kind der Welt!«
    Nein, es war wirklich kein Wunder, dass ihr die vielen Sommersprossen nichts ausmachten. Bis zu einem bestimmten Donnerstag im November. Die Schule war aus und die Steffi ging mit ihren zwei besten Freundinnen durch die Ruppersdorfer Straße nach Hause. Da erzählte die Eva Bergmann, sie habe daheim bei der Köchin Berta ein furchtbar trauriges Buch auf dem Nachttisch gefunden, einen Roman. Die Geschichte eines armen Mädchens, das keinen Mann bekommen hat. Und warum nicht?
    »Na?«, hat die Steffi wissen wollen. »Hat sie vielleicht X-Beine gehabt?«
    »Nein.«
    »Oder Pferdezähne?«
    »Nein, auch nicht.«
    »Ja, was denn dann?«
    »Sommersprossen«, sagte die Eva Bergmann.
    »Ach Quatsch!«, widersprach ihr die Steffi. »Sommersprossen sind doch leein Grund, dass man keinen Mann kriegt!«
    »Und ob!«, rief die Hansi Hübner. » Zu viele Sommersprossen sind selbstverständlich ein Grund dafür!«
    »Sind sie nicht!«
    » Sind sie doch! Das steht j a sogar in Bertas Buch!«
    An diesem Donnerstag im November hockte die Steffi Austerlitz lange Zeit vor dem Spiegel im Badezimmer. Auch sie hätte später eigentlich gern einen Mann bekommen. Und nun sollte sie also keinen kriegen, einzig wegen der blöden Sommersprossen!
    Am Freitagmorgen fand der Herr Lehrer Kling-sor im Klassenbuch einen kleinen rosafarbenen Brief.
    »Bitte, Herr Lehrer!«, stand da in Steffis schönster Sonntagsschrift. »Ich mag keine Sommersprossen. Weil ich sonst keinen Mann kriege. Bitte! Bitte, Herr Lehrer!! Bitte, helfen Sie mir!!!«
    Unterschrieben war der Brief mit Steffis vollem

    Namen: »Stephanie Clementine Alphonsa Freiin von Austerlitzüü« Daraus, und nicht zuletzt aus den vielen Ausrufezeichen, ersah der Herr Lehrer Klingsor, wie ernst es der Steffi mit ihrer Bitte war.
    Was konnte er für sie tun? Er kramte aus der linken Rocktasche ein kleines, in Seidenpapier eingewickeltes Päckchen hervor. »Heut Abend, bevor du zu Bett gehst, wäschst du dir das Gesicht damit. Alles Weitere wird sich finden.«
    »Danke, Herr Lehrer!« Die Steffi schnupperte
    an dem Päckchen, es duftete unverkennbar nach Fliederseife.
    Am Abend wusch sie sich das Gesicht damit. So gründlich wie nie zuvor. Und richtig! - am nächsten Morgen waren die Sommersprossen verschwunden, als hätte sie niemals welche gehabt.
    Zwei Tage lang war die Steffi selig. Am dritten Tag merkte sie, dass sich in ihrem Leben etwas verändert hatte. Plötzlich verhielten sich alle Leute ganz anders zu ihr als sonst. Niemand fand sie jetzt noch besonders lustig. Weder die Bäckersfrau noch der Herr Schaffner in der elektrischen Straßenbahn, weder das Fräulein Zimmermann im Handarbeitsgeschäft noch die Verkäuferinnen in der Markthalle. Und selbst der Herr Schuldiener Büttner an seinem Würsteltopf machte da keine Ausnahme. Niemand dachte von jetzt an daran, bei Steffis Anblick ein freundliches Gesicht zu machen und ihr ein paar nette Worte zuzurufen. Weshalb denn auch? Dazu gab es ja keine Veranlassung mehr.
    Am Mittwochmorgen lag wieder ein rosafarbener Brief an Herrn Klingsor im Klassenbuch: »Bitte, Herr Lehrer! Es muss ein Fehler gewesen sein. Ganz ohne Sommersprossen bin ich sehr unglücklich. Ihre Steffi.«

    Herrn Klingsor kam das nicht unerwartet. Diesmal kramte er aus der rechten Rocktasche einen Farbstift hervor. Einen Farbstift mit rostbrauner Mine.
    »Danke, Herr Lehrer!«
    Am Abend hockte die Steffi Austerlitz vor dem Spiegel im Badezimmer und tupfte sich mit Herrn Klingsors Stift neue Sommersprossen ins Gesicht ... Und sie hätte vermutlich so bald nicht aufgehört, doch plötzlich versagte der sommerspros-senfarbene Stift den Dienst.
    Zuerst war die Steffi ein bisschen ärgerlich, aber dann hat sie sich schon gedacht, dass Herr Klingsor gewusst haben wird, wie viele Sommersprossen sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher