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Herr der Schlangeninsel

Herr der Schlangeninsel

Titel: Herr der Schlangeninsel
Autoren: Stefan Wolf
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sind. Das
könnte Henkelmairs Truhe gewesen sein — aus seiner Kajüte.“
    „Ich wette, daß sie’s ist.“ Karin
klappte den Deckel hoch.

    Holz war abgesplittert, Beschläge
fehlten, Scharniere wackelten.
    Das Mädchen schob ein Brett zurück, das
an der linken Innenseite angebracht war.
    „Hier habe ich das Geheimfach entdeckt.
Da waren Henkelmairs Aufzeichnungen drin. Aber ohne das Kuvert.“
    Eine Weile starrten alle in die Truhe.
Doch mehr gab sie von ihrem Geheimnis nicht preis.
    „Jetzt bin ich Feuer und Flamme“, sagte
Tim. „Meinen anfänglichen Argwohn habe ich verabschiedet.“
    Klößchen strahlte von Ohr zu Ohr. „Also
gehen wir auf Schatzsuche?“
    „Wir müssen! Alles andere wäre
hirnverbrannt. Wir müssen die alte Spur wieder aufnehmen. Sollte Henkelmair
Nachfahren haben, steht denen allerdings ein Anteil zu.“
    „Wieviel?“ fragte Klößchen.
    „Keine Ahnung. Es reicht auch, wenn wir
das später klären. Erst mal müssen wir Schatzsucher erfolgreich sein. Welchen
Weg die Truhe genommen hat, um hierher zu kommen, werden wir wohl niemals
feststellen. Aber denken läßt es sich. Nach Henkelmairs Tod wird die Yacht in
ihren Heimathafen zurückgebracht. Nordsee? Ostsee? Westliches Mittelmeer? Ist
ja schnurz. Irgendwann ist die Yacht nicht mehr seetüchtig. Sie wird
eingemottet. Dann — vielleicht auch schon vorher — gelangt Henkelmairs Truhe an
Land. Wer weiß, wozu sie diente. Vielleicht wurden Bücher darin aufbewahrt.
Oder schmutzige Wäsche. Jetzt, jedenfalls, ist sie hier.“
    Er wandte sich an Karin. „Hast du das
Geheimfach zufällig entdeckt?“
    „Eigentlich nicht. Ich stöbere immer in
alten Möbeln herum. Ist aufregend. Was ich da schon gefunden habe! Altes Geld,
Liebesbriefe, getrocknete Blumen, sogar ein Goldkettchen.“
    „Also“, sagte Klößchen und zückte sein
Portemonnaie, „hiermit kaufe ich den Schatzplan. Oder muß ich sagen: Die
TKKG-Bande erwirbt zunächst mal die Nutzungsrechte. Wenn wir fündig werden,
Karin, kriegst du das versprochene Fünftel ab. Ist klar. Ich feilsche auch
nicht. Angesichts dieser tollen Unterlagen wäre das kleinlich. Hier, Karin,
sind 40 Mark. Wirklich ein Klacks, wenn ich bedenke, daß Henkelmair vor 80
Jahren 110 Goldstücke berappt hat — und die für den weinseeligen Demos
obendrein.“

6. Trickdieb in der Bahnhofshalle
     
    Seit drei Minuten beobachtete er die
Reisetasche.
    Sie war groß. Dunkles Leder, genarbt.
    Sie stand auf einer der Bänke vor dem
griechischen Schnellimbiß des Hauptbahnhofs.
    Edgar Rusel hob seinen Koffer auf und
neigte sich, scheinbar unter dessen Gewicht, ein wenig zur Seite. Scheinbar —
denn den Koffer hätte er mit einem Finger tragen können.
    Das Behältnis — obwohl großformatig und
tief — war federleicht, nämlich leer. Es hatte keinen Boden.
    Innen, unter dem Griff, war ein
Greifwerkzeug angebracht.
    Edgar konnte es bedienen, indem er
einen Klemmbügel am Griff zusammendrückte.
    Es war 1.16 Uhr. Eine heiße Sommernacht
drückte auf die Großstadt.
    Mindestens die Hälfte der vielen,
vielen Einwohner konnte nicht schlafen. Wegen Hitze, wegen Durst, wegen der
Mücken.
    Gerade eben war der Europa-Expreß aus
Amsterdam eingelaufen, stand jetzt auf Gleis 21 und entließ immer noch Reisende
in die riesige Bahnhofshalle unter dem Kuppeldach.
    Einige wurden abgeholt, und es gab
verschwitzte Umarmungen. Andere erwarteten niemand, gähnten und rollten oder
schleppten ihren Koffer zum Ausgang.
    Edgar Rusel hatte gleich den Typ mit
der genarbten Reisetasche ins Auge gefaßt.
    Weshalb gerade den? Edgar hätte es
nicht beantworten können. Meistens verließ er sich auf seinen Instinkt.
    Die Tasche schien schwer zu sein. Der
Typ schleppte mit Mühe. Aber jetzt stand er vor dem Schnellimbiß.
    Offenbar plagten den Mann Hunger und
Durst.
    Sieht aus wie ein Grieche, dachte
Edgar, und zwar wie ein wohlhabender. Jetzt speist er griechisch. Naja, er
schlingt eine Semmel mit Chirino ( Schweinefleisch ) und Salatblätter in
sich rein. Hunger tut weh — vor allem so fernab der Heimat.
    Langsam schlenderte Edgar zu der Bank,
wo — drei Meter hinter dem Rücken des Griechen — die verlockende Reisetasche
stand.
    Verlockend allemal für den Trickdieb
Edgar Rusel.
    Er war 31, mittelgroß und völlig
durchschnittlich vom Scheitel bis zur Ferse. Selbst wenn Edgar als einziger in
einem leeren Raum stand, fiel er nicht auf.
    Für seine Tätigkeit war das
vorteilhaft.
    So auch jetzt.
    Er stellte seinen Koffer neben
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