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Herr der Schlangeninsel

Herr der Schlangeninsel

Titel: Herr der Schlangeninsel
Autoren: Stefan Wolf
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Schönheit schlechthin. Wenn wir ausdrücken wollen, daß
die Schönheit eines Mädchens nicht mehr zu übertreffen ist, sagen wir, ihre
Haut sei wie warme Jade.“
    „Hm. Mal sehen, wie Gaby darauf
reagiert.“
    „Chinesische Schnitzmeister haben in
Jahrtausenden ihre Kunst zur höchsten Vollendung gebracht. Sie bearbeiten Jade.
Nichts ist schöner, nichts geht darüber. Aus Jade entstehen Prunkvasen,
Räuchergefäße, Haarknoten-Öffner, Kultfiguren, Tiergestalten. Der Jade-Tiger
der Sippe Li ist einmalig und unbezahlbar. Er schimmert in einem Ton wie Safran
und Orange. Er schreitet auf Wolken, der Tiger, und hat angedeutete Flügel auf
dem Rücken. Zweimal schon durfte ich ihn sehen, den Tiger. Es waren die
schönsten Tage in meinem Leben.“
    Ich ahne beinahe, dachte Tim, daß mit
dem Tiger irgendwas passiert ist. Hat der Gralshüter der Sippe ihn fallen
lassen? Ist er zerbrochen?
    „So was muß man hüten“, meinte Tim,
weil ihm nichts anderes dazu einfiel.
    Chungs Lächeln strahlte heller. Er
schenkte Saft nach, erwischte aber, weil er nicht hinsah, die Flasche mit der
flüssigen Sauerkirsche.
    Tim war das wurscht. Er trinkt alles,
was ohne Alkohol ist. „Seit fast 1000 Jahren“, fuhr Chung fort, „herrscht
erbitterte Fehde zwischen unserer Sippe und dem ekelerregenden Gewürm der Sippe
Shu. Das sind Diebe, Räuber, Mörder. Sie stehlen, rauben und töten.“
    Jetzt habe ich’s begriffen, dachte Tim
und trank seinen Kirschsaft.
    „Das erhabene Oberhaupt der Sippe Li“,
sagte Chung, „lebt in Hongkong. Lee Pa Li ist sehr reich. Er handelt mit allem,
was sich verkaufen läßt, und besitzt 200 Dschunken (kleine chinesische
Segelschiffe). Aus seinem Haus hat jetzt der räudige Mistkäfer Xiang Chee
Shu, genannt Beutezahn der Wanderratte, den Jade-Tiger gestohlen.
Xiang-Beutezahn ist der Anführer der Shu-Räuberbande.“
    „Verstehe.“
    „Xiang-Beutezahn lebt nicht in
Hongkong, wie du vielleicht denkst.“
    „Soweit habe ich noch nicht gedacht.“
    „Er lebt in Amsterdam; eine Stadt in
den Niederlanden.“
    „Die Hauptstadt der Niederlande“,
ergänzte Tim.
    „Er ist dort ein großer Verbrecher. Die
Nummer eins im Drogenhandel. Aber er ist schlau und geschickt. Die Polizei kann
ihm nichts nachweisen. Seine Gangster schrecken vor keiner Greueltat zurück.
Lee Pa Li in Hongkong, ein Vetter in Singapur und Ping Li in Zürich — sie alle
sind überzeugt: Unser Jade-Tiger ist bereits in Amsterdam. Damit ist er
verloren für uns. Wir sind entehrt, Tim.“
    „So eng würde ich das nicht sehen.
Weder Sie noch Ihre ehrenwerten Sippen-Mitglieder sind verantwortlich zu machen
für Xiang-Beutezahns Schlechtigkeit.“
    „Doch, Tim. Entehrt! Dieser räudige
Mistkäfer hat unsere Tradition (überlieferte Bräuche) zerbrochen. Die
schrecklichsten Krankheiten wünsche ich ihm an den Hals, besonders aber die
asiatische Grippe.“
    „Naja“, räumte Tim ein, „zu dem
ideellen (geistigen) Verlust kommt ja auch der materielle (wirtschaftliche) hinzu. Das schmerzt.“
    „Schlimmer als ein Hei Hu Tou Hsin.“
    Tim wäre beinahe zusammengezuckt, denn
dieser Kung Fu-Schlag heißt übersetzt: Der schwarze Tiger reißt das Herz
heraus.
    Eine Weile schwiegen sie.
    Jeder trank den Rest Kirschsaft aus
seinem Glas.
    Tim wußte, daß man Chung nicht drängen
oder mit Fragen löchern durfte.
    Entweder er erzählte von sich aus —
oder gar nicht. Amsterdam, dachte Tim. Keine Aussicht für die TKKG-Bande, dort
anzulanden. Erstens haben wir noch Schule, zweitens fliegen wir mit
Ferienbeginn sofort ins östliche Mittelmeer, in die Ägais, auf die Insel
Padoklion, wo wir im Feriendorf ,Faul und froh’ — Klößchen hat’s ausgesucht —
wahnsinnigen Spaß haben werden. Wir vier! Nee, leider null Möglichkeit, Chung
und der Sippe Li helfend unter die Arme zu greifen.
    „Der weise Lee Pa Li in Hongkong“,
sagte Chung, „hat bereits Maßnahmen getroffen. Maßnahmen, die verhindern
sollen, daß Xiang-Beutezahn den Jade-Tiger an einen Sammler für ein
Millionen-Geld verkauft. Obwohl ich nicht glaube, daß der räudige Mistkäfer das
plant. Geld hat er genug. Sein Drogenhandel macht ihn jeden Tag reicher. Nein,
er will den Jade-Tiger für sich behalten. Will ihn täglich betrachten und baden
in dem Gefühl, daß er uns verhöhnt.“
    „Welche Hongkonger Maßnahmen meinen
Sie?“
    Chung lächelte. Ein wenig Triumph
blitzte darin auf.
    „Lee Pa Li hat Fotos des Jade-Tigers an
alle Presse-Agenturen gegeben, den Diebstahl
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