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Herr der Schlangeninsel

Herr der Schlangeninsel

Titel: Herr der Schlangeninsel
Autoren: Stefan Wolf
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Laden.
    Das Mädchen, von dem die Rede war,
polierte immer noch an dem Silberteller.
    „Ein Glück“, meinte der TKKG-Häuptling,
„daß sie nicht hört, was wir über sie reden. Ihr würde vor Schreck der Teller
aus der Hand fallen.“
    „Bevor wir ihr sagen, was wir von ihr
halten“, sagte Klößchen, „will ich den Schatzplan sehen. Wenn er wirklich
gefälscht ist, bezahle ich höchstens 20 Mark.“
    Tim wandte sich zur Ladentür. „Ich will
dabei sein, wenn diese Geldschneiderin dich übers Ohr haut.“
    Er öffnete die Tür und trat ein. Seine
Freunde folgten ihm. Im Laden war es angenehm kühl. Die Luft roch nach Staub,
altem Holz und Zinn.
    Karin Lippscheck legte Teller samt
Lappen beiseite und strich sich eine braune Haarsträhne aus der Stirn.
    „Habt ihr mich durchgehechelt? Kann ich
jetzt mit Klößchen zum Geschäftlichen kommen?“
    Tim, der gerade ,Hallo!’ sagen wollte,
blieb der Gruß im Hals stecken. Hatte das Mädchen einen sechsten Sinn?
    „Tag, Karin“, entgegnete Gaby kühl.
„Wie kommst du darauf, wir hätten dich durchgehechelt?“
    „Wie würdest du das nennen? Du hast zum
Beispiel gesagt: Sie ist widerwärtig geldgierig. Aber nenn sie nicht Ziege.
Ziegen sind nette Tiere. Da staunt ihr, was? Ja, ich habe gute Ohren. Ich habe
alles gehört.“
    Offenen Mundes starrten Gaby, Karl und
Klößchen sie an. Tim fing sich sofort.
    Unmöglich, dachte er, kann sie
eigen-ohrig durch Ladentür oder Schaufensterscheibe nach draußen lauschen. Gibt
nur eine Erklärung: Dort draußen ist irgendwo ein Mikrophon angebracht,
versteckt, und hier drinnen der Lautsprecher. Teuflisch hinterhältig. Aber das
paßt zu diesen Trödlern.
    „Abhöranlage, wie?“ fragte er durch die
Zähne. „Dein Pech, Karin Lippscheck, wenn du als Lauscher von deiner Schande
hörst. Im übrigen ist es unsere Sache, was wir unter uns besprechen. Jetzt
weißt du, wie wir dich einschätzen. Also versuch gar nicht erst, Willi
reinzulegen.“
    „Wie kommst du auf Abhöranlage?“ In
theatralischer Weise weitete sie die Augen. „So was gibt’s hier nicht. Kannst
dich gern umsehen. Nein, ich habe scharfe Ohren. Du hast zum Beispiel gesagt:
Ein Glück, daß sie nicht hört, was wir über sie reden. Sonst würde ihr der
Teller aus der Hand fallen. Hast also auch das Gefühl, daß es nichts Schmeichelhaftes
war.“
    Ich schnall ab, dachte Tim. Sie hat
alles mitbekommen. Ist ja regelrecht unheimlich.
    Zu Karl sagte er: „Geh doch bitte mal
vors Schaufenster, schließ die Tür und sag was in der Lautstärke von vorhin.
Mal sehen, aus welcher Ecke uns der Empfänger beschallt.“
    Karin lachte „hihihihih“, wie eine Hexe
im Kindermärchen. Karl warf ihr einen Blick durch die Nickelbrille zu und trat
hinaus auf die Straße.
    Vor dem Schaufenster sprach er mehrere
Sätze.
    Nicht ein Laut war hier im Laden zu
hören.
    „Solche Anlagen kann man abstellen“,
sagte Tim. „Im übrigen interessiert uns das nicht. Willi kommt wegen des
Schatzplans, wir als seine Freunde beraten ihn — was immer zu empfehlen ist,
wenn es um Geldanlage geht.“
    Karl kam herein. Den Mienen entnahm er,
daß man ihn nicht gehört hatte.
    „Ich habe alles verstanden“, sagte
Karin. „Du hast ein Gedicht aufgesagt.“
    „Ein Gedicht würde ich das nicht
nennen“, erwiderte Karl. Zu Tim sagte er: „Du weißt, was es war.“
    „Ich habe kein Wort gehört.“
    Karin schob die Brauen zusammen. „Du
hast folgendes Gedicht aufgesagt: Deutsche Frauen, deutsche Treue, deutscher
Wein und deutscher Sang sollen in der Welt behalten ihren alten schönen Klang.
Uns zu edler Tat begeistern unser ganzes Leben lang. Ist das etwa kein
Gedicht?“
    „Es ist die zweite Strophe vom
Deutschlandlied“, erklärte Karl. „Ansonsten stimmt’s. Genau das habe ich
draußen aufgesagt.“
    Für einen Moment herrschte Stille.
    Hätte Verblüffung einen Geruch, einen,
den man nicht beschreiben kann, dann würde er sich jetzt zwischen den Mief von
Staub, Holz und Zinn gemischt haben.
    „Hexerei!“ sagte Gaby nach einer Weile.
„Du bist nicht nur geldgierig, Karin. Du bist auch mit dunklen Mächten im
Bund.“
    Tim räusperte sich. „Wir machen noch
einen Versuch. Ich gehe raus und werde dicht vor der Scheibe etwas sagen,
halblaut, klar, deutlich. Okay?“
    Karin lächelte belustigt. „Du glaubst
wohl immer noch nicht, daß ich mit meinen Ohren das Gras wachsen höre?“
    Tim stellte seine Tasche ab und ging
hinaus, wo die Luft um mindestens zwölf Grad wärmer
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