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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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denn das würde heißen, dass du dich jedes Mal, wenn du mich mit einem Mann lachen oder reden siehst oder ich spät nach Hause komme, mit Gram und sinnlosen Verdächtigungen herumschlagen würdest. Ein bisschen Eifersucht hält die Liebe warm. Aber zu viel schadet ihr.“
    „Gut, dann soll meine gerade so groß sein, unsere Liebe zu wärmen. Du weißt, dass ich immer zu dir gestanden habe und nie mehr wissen wollte als nötig. Stell dir vor, wie ich mich gefühlt hätte, wenn ich alle Geheimnisse der Bewegung gekannt hätte, als ich mich in ihrer Gewalt befand? Zum Glück wusste ich nichts, sodass ich, selbst wenn sie mir mit dem Tod gedroht hätten, nichts hätte aussagen können. Denn es gab nichts, was zu verraten gewesen wäre.“
    „Aber du kanntest ein großes Geheimnis“, sagte Nyawĩra. „Du wusstest von mir und du hast mich nie verraten.“
    „Das stimmt, aber gleichzeitig wusste ich nicht alles über dich. Bis zu dem Augenblick, in dem du in das Zimmer gekommen bist und als Anführerin vorgestellt wurdest, hatte ich keine Ahnung von deiner Stellung in der Bewegung. Du hast immer über die Bewegung und ihre Führung geredet. Sogar an diesem Tag konnte ich nicht ahnen, dass du zu dem Treffen kommen würdest, weil du es nicht einmal angedeutet hast.“
    „Das war, weil wir, wie ich dir neulich gesagt habe, nicht wollten, dass du eine politische Entscheidung triffst, die ausschließlich auf deinen Gefühlen für mich basiert.“
    „Die Täuschung, wenn ich das so nennen darf, war perfekt.“
    „Du gibst zu, dass du darauf hereingefallen bist?“
    „Ja, und als du dich hingesetzt und die Leitung des Treffens übernommen hast, dachte ich für einen Moment, eine ganz andere vor mir zu sehen.“
    „Dann habe ich gewonnen“, sagte Nyawĩra triumphierend.
    „Was gewonnen?“
    „Die Wette. Erinnerst du dich an unsere kleine Wette? Du hast damals geschworen, dass du dich nicht ein drittes Mal täuschen lassen würdest.“
    „Ach, das“, meinte Kamĩtĩ. „Diesmal war es aber anders, weil du dich nicht verkleidet hattest wie die Hinkende Hexe im State House. Aber ich bin mehr als froh, die Wette verloren zu haben. Wenn es so weit ist, werde ich die Eheringe kaufen.“
    „Ich liebe dich“, sagte sie leise.
    „Ich liebe dich, sehr“, gab er zurück.
    Sie spazierten über den Markt, bevor sie sich entschlossen, die Menge zu meiden und den ehemaligen Ruler’s Highway, der jetzt Imperial Highway hieß, hinunterzugehen. Bald darauf gelangten sie zum ehemaligen Bauplatz für Marching to Heaven, an dem nun das Imperial Coliseum errichtet werden sollte.
    „Siehst du den Mann, der dort unter dem Baum sitzt?“, fragte Nyawĩra. „Was macht er da so ganz allein, in Buddha-Haltung mit den Beinen über Kreuz?“
    „Gautama“, erkannte Kamĩtĩ sofort.
    Ja, es war tatsächlich Gautama, der unter dem Baum saß, die Beine wie Buddha über Kreuz und den Rücken gegen den Stamm gelehnt hatte. Von den Zweigen hingen Zeitungs- und Zeitschriftenausschnitte, aus denen ein Stück Papier herausstach, auf dem MARS geschrieben stand.
    „Vielleicht das Einzige, das er aus dem Mars Café retten konnte“, murmelte Kamĩtĩ und dachte an das letzte Mal, als Gautama und er über das Mahabharata, das Ramayana, die Gita, die Sterne und das Weltall geredet hatten.
    Kamĩtĩ schlug Nyawĩra vor, einfach weiterzugehen, doch dann kam ein Windstoß, der ihn auf die einsame Gestalt zuzutreiben schien. Er änderte seine Meinung. Sie konnten sich zumindest ein bisschen solidarisch verhalten.
    „ Namaste! Gurudeva !“, rief Kamĩtĩ.
    Gautama glaubte, neue Anhänger gewonnen zu haben, und begann, ohne den Gruß zu erwidern oder seine Haltung zu verändern, ihnen die gute Nachricht zu verkünden:
    „Ich bin nicht allein, versteht ihr! Dieser Baum und die herumstreunenden Tiere, die mich besuchen, sind meine Freunde. Auch der Wind, die Sonne und der Regen sind meine Freunde. Erinnert ihr euch an Hanumans Abschiedsworte an Rama im Ramayana? Schöne Worte, die vom Einssein der Schöpfung sprechen“, sagte er, griff nach einem Buch, das neben ihm lag, und las laut vor: „‚Liebe Rama, wir sind deine Freunde aus lang vergangenen Zeiten und deine Gefährten aus uralten Tagen, die dir helfen wollen. Wir sind deine Vorväter. Wir sind deine Ahnen, die Tiere, und du bist unser Menschenkind. Wegen unserer Freundschaft kennen wir dich seit langem, Rama, und die Zahl dieser Tage verliert sich im Schweigen.‘
    Ach, das Schweigen des
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