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Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge

Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge

Titel: Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge
Autoren: Andreas Eschbach
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Gespielt war vielleicht nicht genau das richtige Wort, denn das Spiel , das er gesehen hatte, hatte eigentlich nur darin bestanden, sie wegzuwerfen … Aber das waren letzten Endes unwichtige Feinheiten, oder?
    Mutter schüttelte kummervoll den Kopf. »Warum tust du das? Sitzt den ganzen Tag am Fenster, um dieses Mädchen zu sehen? Das ist nicht gut. Dafür bist du noch viel zu jung.«
    Hiroshi schwieg. Was ließ sich darauf schon sagen? Er hatte es eben tun müssen. Wenn sie das nicht verstand, konnte er auch nichts machen.
    Mutter fischte ein Stück Daikon aus der Schüssel mit den Tsukemono und sagte, ehe sie es aß: »Ich möchte nicht meine Arbeit wegen etwas verlieren, das du anstellst. Es ist eine gute Arbeit. Wir haben genug Geld zum Leben und eine schöne Wohnung in einer guten Gegend. Das würden wir alles verlieren.«
    Auch darauf wusste Hiroshi nichts zu sagen. Das durfte nicht passieren, das war klar. Schon weil sie im schlimmsten Fall nach Minamata würden ziehen müssen, zu den Großeltern und Tante Kumiko.
    Aber wieso sollte Mutter ihre Arbeit verlieren, nur weil er eine Puppe repariert und zurückgebracht hatte?
    »Auf jeden Fall«, fuhr Mutter kauend fort, »musst du morgen früh mitkommen. Die ehrwürdige Frau Botschafter will dich kennenlernen.«
2
    Man hätte meinen können, sie gingen zu einer Audienz beim Kaiser, so, wie sich alle anstellten. Mutter musste wieder und wieder ihre Zugangskarte vorlegen, musste jedem Wachmann,den sie passierten, aufs Neue Rede und Antwort stehen. Zur ehrenwerten Frau Botschafter seien sie bestellt, jawohl. Heute. Jetzt. Das veranlasste jeden Wachmann, die Stirn zu runzeln und erst einmal zu telefonieren. Jedes Mal lauschte er dem, was ihm vom anderen Ende der Leitung aus mitgeteilt wurde, verbeugte sich zackig, legte auf und winkte sie weiter.
    »Heute Abend gibt der ehrenwerte Herr Botschafter einen Empfang«, geruhte einer der Männer, sie wissen zu lassen. »Deshalb ist eine solche Vorladung ungewöhnlich.«
    Sie passierten einen Metalldetektor, später noch einen, und dazwischen redete Hiroshis Mutter unaufhörlich auf ihn ein, sich gut zu benehmen. Nur zu reden, wenn er gefragt würde. Sich zu verneigen, wie es sich gehörte. »Am besten stellst du dir vor, du stündest vor dem Kaiser«, meinte sie.
    Was hatte er da bloß angefangen! Hiroshi merkte, wie seine Handflächen mit jedem Meter, den sie zurücklegten, schwitziger wurden. Wahrscheinlich würde er kein Wort herausbekommen, egal ob ihn jemand etwas fragte oder nicht. Überhaupt, wozu wollte die Frau des Botschafters ihn sehen? Das hatte er sich die ganze Nacht lang gefragt. Alles war denkbar: Vielleicht wollte sie ihm einen Orden verleihen, weil er die wertvolle Puppe ihrer Tochter gerettet hatte? Oder wollte sie ihn anklagen, die Puppe gestohlen zu haben?
    Irgendwann hörten die kahlen, grau gestrichenen Gänge auf, und man führte sie in einen kolossalen, überaus prachtvollen Saal. Es roch plötzlich intensiv nach Blumen und Parfüm. Vor den Fenstern reichten mächtige, gebauschte Vorhänge bis zum Boden, wie in alten amerikanischen Filmen. Überall an den Wänden prangten riesige Ölgemälde in wuchtigen Goldrahmen.
    Hiroshi war sich auf einmal nicht mehr sicher, das alles nicht bloß zu träumen. Was hatte er da nur angefangen, bei den Geistern der Ahnen!
    Und dann kam ihnen diese große, schlanke Frau entgegen, mit hellblonden hochtoupierten Haaren, in einem golden schimmernden Kleid. Eine wunderschöne Frau mit porzellanfarbenerHaut und dunklen Augen – doch sie wirkte, als sei es ihr gar nicht recht, dass sie da waren! Das musste die Frau des Botschafters sein, oder? Die sie herbestellt hatte? Aber weder hatte Hiroshi den Eindruck, dass sie böse auf ihn war, noch, dass sie ihm wohlgesinnt war … Verwirrt wirkte sie, ja. Sie sah aus, als sei ihr gerade erst wieder eingefallen, dass sie kommen sollten.
    »Verneigen!«, hörte Hiroshi seine Mutter wispern, was gut war, denn sonst hätte er sämtliche Ermahnungen wieder vergessen.
    Also, jetzt aber! Wie es sich gehörte! Zeigen, dass er wohlerzogen war, und sei es nur, um seine Mutter zufriedenzustellen. Hiroshi verbeugte sich, tief, den Rücken gerade, die Hände akkurat auf den Oberschenkeln, und so wartete er, wie es sich geziemte, bis das Wort an ihn gerichtet wurde.
    Die Frau sagte etwas. Hiroshi brauchte eine ganze Weile, bis ihm dämmerte, dass sie konnichi wa gesagt hatte, Guten Tag , oder dass sie zumindest versucht hatte, es zu sagen.
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