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Hermanns Bruder - wer war Albert Göring?

Hermanns Bruder - wer war Albert Göring?

Titel: Hermanns Bruder - wer war Albert Göring?
Autoren: Aufbau
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auf, luden über 300 Kampfflugzeuge der Royal Air Force knapp 2000 Tonnen Bomben auf Freiburgs Eisenbahnanlagen ab. Zur Definition von »Eisenbahnanlagen« gehörten offenbar auch Wohnhäuser und Kirchen, Buchläden, Restaurants, Bäckereien, Cafés und Parks, Universitäten und Schulen – das gesamte Stadtzentrum. Aber nur fast, denn Freiburgs höchstes Gebäude, das imposante Münster, blieb stehen und dominiert bis heute die Silhouette der Stadt. Nach dem Angriff ragte das Gotteshaus einsam und trotzig aus den rauchenden Trümmern hervor.
    Anders als bei dem Bombenangriff von 1940 wurden die Bürger von Freiburg diesmal vorgewarnt. Es waren jedoch nicht die Luftschutzsirenen oder das Radio, das sie veranlasste, in die Bunker zu fliehen, sondern, so will es die Legende, ein Erpel. Ein ganz alltäglicher Vogel, wenn auch einer von ungewöhnlicher Voraussicht und Überzeugungskraft. Noch bevor – zumindest für die menschlichen Sinne – die ersten Bomber zu hören oder zu sehen gewesen wären, hatte – so die Legende – dieses Tier mit den Flügeln zu schlagen begonnen, hoch aufgerichtet seine Vorahnungen in die Welt hinausgekrächzt und sich so auffällig benommen, dass die beunruhigten Passanten in die Schutzräume flüchteten. Zahlreichen Freiburgern soll der tapfere Erpel so das Leben gerettet haben, während er selbst nach dem Angriff tot unter den Trümmern gefunden wurde.
    Gleich jenseits der Altstadt, auf der anderen Seite des Leopoldrings, gibt es im Stadtgarten, in einem kleinen Teich hinter dem Freilufttheater und der Schienenbahn, eine kleine Statue, die jenen berühmten Erpel im entscheidenden Augenblick porträtiert: Den Schnabel himmelwärts gereckt, scheint er gerade seine verzweifelte Warnung auszustoßen. »Die Kreatur Gottes klagt, klagt an und mahnt«, ist in den Sockel eingraviert.
    Diese Inschrift würde auch für eine Albert-Göring-Statue gut passen, wenn es sie denn gäbe. Wie jener Vogel besaß Albert einen sechsten Sinn für die heraufziehende Gefahr und sah sich verpflichtet, seine Zeitgenossen zu warnen. Er lebte in München, der Geburtsstadt des Nationalsozialismus. An der Universität teilte er den Vorlesungssaal mit Himmler und erkannte die ersten Vorzeichen der studentischen nationalistischen Bewegung. Er erlebte, wie sein Bruder sich mehr und mehr mit Hitler und seiner Clique einließ und wie seine Reden zu Hasstiraden verkamen. Kurz gesagt, ahnte er von Anfang an, wohin diese zukünftigen Staatenlenker Deutschland führen wollten. Also schlug er Alarm und mahnte seine Landsleute, sich vorzusehen. Doch im Gegensatz zu jenem prophetischen Erpel wurde Albert Göring von seinen Zeitgenossen ignoriert.
     
    Vor meiner Zimmertür rumpelt und lärmt es. Offenbar haben meine Mitbewohner eine ihrer »Putzoffensiven« gestartet, wie sie es so schneidig nennen. Ich wohne mit vier deutschen Studenten in einer Dachgeschosswohnung: einem Punkrocker-Grundschullehrer, einem Linguisten, einem angehenden Opernregisseur und einem Violinisten. Eine eigenwillige Truppe, die es sich gleich auf die Fahnen geschrieben hat, mir Freiburg zu zeigen und mir im ewigen Kampf mit den städtischen Behörden Schützenhilfe zu leisten. Auf den ersten Blick sind sie ganz normale Männer Anfang zwanzig, wie sie überall in der westlichen Weltanzutreffen sind: trinkfest und immer für einen Spaß zu haben. Aber wenn es um Sauberkeit und Ordnung geht, können sie ihre Herkunft nicht verleugnen. Wie in den meisten deutschen WGs gibt es auch hier einen farbigen, tortenförmigen »Putzplan«, und immer wieder sonntags treten alle in Reih und Glied in der Küche an und stürzen sich in die Schlacht gegen Unordnung und Schmutz. Nur meiner gestrigen Ein-Mann-Mission im Badezimmer habe ich es zu verdanken, dass ich heute ausnahmsweise beurlaubt bin.
    Da übertönt ein Klopfen das Geheul des Staubsaugers. »Vill?« – was nun? Habe ich nicht genug Ungeziefer vernichtet? Nein, der Linguist will mir nur einen Brief überreichen, den die Aufräumaktion zutage befördert hat. Er ist von Eckardt Pfeiffer, dem Lokalhistoriker und Herausgeber einer Regionalzeitung in Franken (der Region, in der Albert und Hermann Göring aufgewachsen sind), der in Fragen zur Familie Göring als Kapazität gilt. Vor über fünf Monaten hatte ich ihn angeschrieben in der Hoffnung, er könnte mir eine paar Anhaltspunkte liefern.
    Der Brief ist formell, aber freundlich im Ton, inhaltlich jedoch wenig ergiebig. Alles, was Pfeiffer mitzuteilen hat,
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