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Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk

Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk

Titel: Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk
Autoren: Hugo Ball
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Lebensjahr
    hat Hermann Hesse seine Kindheit in der Schweiz, nicht im
    Schwabenlande verbracht. Der Vater gab Unterricht am
    Missionshaus, eine Tätigkeit, die mit mancherlei Darben und Bitternis
    verbunden war. In Basel wurde der »Heimatlose«, der bisher auf
    einen russischen Paß gereist war, auch Schweizer Bürger. Erst 1886
    trat er, als Gunderts rechte Hand, in den Dienst des Calwer
    Verlagsvereins, um nach Gunderts Tod 1893 dessen Amt und sehr
    umfängliche Tätigkeit völlig zu übernehmen und abzuschließen.
    Der Dichter hat seine Vaterstadt mit ihren Fachwerkhäusern und
    ihrem schön rauschenden Flusse, mit ihren Kelterfesten und
    Mädchenzöpfen, mit ihren Forellenbächen und Blumensträußen so oft
    und liebevoll geschildert, daß mir in diesem Punkte nicht viel zu tun
    übrig bleibt. In »Schön ist die Jugend« und »Unterm Rad«, in
    »Knulp« und in den »Märchen« –, immer wieder ist Calw der
    Gegenstand einer Kleinkunst, die an zierliche Kostümbögen und alte
    Stiche erinnert. Er konnte sich kaum genug tun, sein Städtchen zu

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    preisen, und machte fast eine moralische Sache und einen Kult
    daraus.
    Es gibt ein wenig bekanntes Buch des Dichters, das noch vor
    »Camenzind« erschienen ist; darin steht ein kurzes Impromptu,
    »Gespräch mit dem Stummen«, das eine scheue, ja eifersüchtige
    Liebe zeigt. »Was weißt du«, so heißt es da, »wenn ich sage: meine
    Mutter? Du siehst dabei nicht ihre schwarzen Haare und ihr braunes
    Auge. Was denkst du, wenn ich dir sage: die Glockenwiese? Du hörst
    dabei nicht das Windrauschen in den Kastanienkronen, und spürst
    nicht den Duft der Syringenhecke, und siehst nicht die blaue Fläche
    der Wiese, die ganz mit den schwanken Glockenhäuptern der blauen
    Campanula bedeckt ist. Und wenn ich dir den Namen meiner
    Vaterstadt sage, dessen Laut mir schon das Blut bewegt, so siehst
    du nicht die Türme und den herrlich überbrückten Strom, und siehst
    nicht den Hintergrund der Schneeberge und hörst nicht die
    Volkslieder unserer Mundart, und hast nicht selber Lust und
    Heimweh dabei.«
    Was der Dichter nicht erwähnt, ist die geistige Atmosphäre; man
    findet sie erst später. Mag sein, daß mancher Widerspruch, der den
    Jüngling vom Vaterhaus löste, erst heilen und vernarben mußte; daß
    ihn die dürftige Enge der ersten Kinderjahre oft allzusehr gedrückt;
    daß er als Knabe der Amseln und der Veilchen dringender bedurfte
    als der Studierstube des Vaters. Gelegentlich tauchen auch in den
    früheren Büchern Reminiszenzen auf, doch ist es dann stets, als
    werde die Hauptsache umgangen und vermieden; als liebe der
    Dichter die Peripherie seiner Herkunft mehr als den Kern und die
    fatalerweise von aller Welt belächelte pietistische Sphäre. In
    »Camenzind« und »Unterm Rad« und noch in »Knulp« und in
    »Demian« sind es Handwerksmeister, die zur Brüdergemeinde
    gehören und ihrer eigenen evangelischen Weisheit folgen; die dem
    Stadtpfarrer nicht gewogen sind, sondern ihn mit tiefem Mißtrauen
    als einen »Großkopfeten« betrachten; Typen, von denen auch
    Heinrich Mann als von einem Bildungsingredienz zu berichten weiß.
    Nur daß sie bei Hesse als ein Stück Volkspoesie mit weit mehr
    herzlicher Liebe, mit innigerem Anteil geschildert sind.
    Was Hesse so lange verschwieg und was ihn darum wohl zumeist
    von den Calwer Eindrücken beschäftigt hat, das ist das

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    kleinstädtische Pietisten- und doch auch weltweite Brahmanen-
    Milieu, dem er entstammt und das deshalb hier um so ausführlicher
    genannt werden mag; enthält es doch die Wurzel seiner geistigen
    Existenz und seines ästhetischen Gewissens, seiner Lebensart und
    seiner bedeutsamsten Konflikte. In dieser Welt wurde der Sinn
    geschärft, der ihn die Natur so zart erfassen, der ihn für sein Erleben
    so tief verschlungene Worte finden läßt. In den Studierstuben seines
    Vaters
    und
    Großvaters
    wurden
    die
    philologischen
    und
    grammatikalischen Finessen geübt, die des Dichters Sprache zu
    einem unerhört biegsamen und bewußten Instrumente machen; die
    seinem Satzbau saubere Klarheit und logische Folge geben. In
    diesem Vaterhaus wurden die Psalmen gesungen, die Bibel gelesen,
    wie nur katholische Priester ihr täglich Brevier verrichten.
    Man darf den schwäbischen Pietismus nicht unterschätzen. Schelling
    und Hegel, Mörike und Hölderlin, Strauß und Vischer sind ohne ihn
    nicht zu denken. An die Seminare Maulbronn, Blaubeuren und Urach
    knüpfen sich schönste und älteste
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