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Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk

Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk

Titel: Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk
Autoren: Hugo Ball
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ganzer Hingabe auch der
    inneren. Er hält Betstunden, Missionspredigten, besucht Kongresse,
    redigiert Propagandablätter, empfängt Besuche aus aller Welt:
    gelehrte, exotische, pietistische Besuche. Er hat eine Audienz beim
    König, steht mit den bedeutendsten Persönlichkeiten des
    evangelischen und philologischen Lebens in Austausch, liest hundert
    Revuen, druckt sehr bedeutsam kirchengeschichtliche, exegetische

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    und Übersetzungswerke, um sich schließlich, von seinem Biographen
    mit einem breiten, ruhig fließenden Strome verglichen, nach jener
    einen Wurzel der Realitäten zu sehnen, die er in allen Sprachen der
    Welt gesucht und vielleicht schon gefunden hatte.
    Von ganz anderer, nicht weniger origineller, nicht weniger reicher
    Begabung in menschlichen und göttlichen Dingen ist der russische
    Staatsrat und Kreisarzt Hermann Hesse. Ist für den einen der
    Großväter die Studierstube bezeichnend, die wie ein Bergwerk
    aussah, wo Schichte um Schichte liegt; wo über dem
    bücherbeladenen Sofa, über dem ebenso dicht mit Briefen,
    Handschriften und Blättern beladenen Schreibtisch die Bilder der
    Missionskoryphäen hingen, so bezeichnet den anderen Ahnherrn der
    parkähnliche Garten, »der schönste Garten, den ich je gesehen«, wo
    es in einem Meer von Rosen, Lilien, Malven und wohlriechenden
    Erbsen, zwischen ungezählten Beerensträuchern, Grasplätzen und
    Obstbäumen, unter alten Linden, Tannen und Ahornkronen nicht
    weniger sachkundig und selbstsicher zuging als in der Studier- und
    Redaktionsstube des Calwer Verlagsvereins.
    Dieser andere Großvater ist ein ungeheuer lebendiger, witziger,
    fröhlicher Mensch, allem Akten-, Streber- und Beamtenwesen tief
    abgeneigt. Durch Goßners Bibel wird er in die seligen Bereiche
    eingeführt. »Gott selbst trat mir nahe und redete aus seinem Wort
    mit mir.« Nach Weißenstein zieht er als junger Arzt, ohne auch nur
    einen Rubel Einnahme in Aussicht zu haben. Die kleine öde Stadt mit
    dem Aussehen einer sibirischen Strafkolonie vermag ihn nicht
    abzuschrecken. Eine Freude im heiligen Geist bewegt sein Herz und
    ordnet die Widerstände. Die religiöse Erweckung war auch in
    Weißenstein soeben eingezogen. Um Pfingsten angekommen, kann
    er im Herbst schon ein Haus kaufen und seinen Garten anlegen. Als
    seine Frau niederkommt, bieten drei Ammen sich freiwillig an; es
    regnet vom Himmel. Losung am 2. Juni: »Sie sollen erfahren, daß
    ich, der Herr, ihr Gott bin.« Jeden Montagabend, so notiert er selbst,
    wird beim Dr. Hesse eine Bibelstunde gehalten.
    Auch dieser Ahn also ist Pietist. Aber keineswegs kopfhängerisch und
    menschenscheu; auch nicht in Probleme versponnen und die Einheit
    der Erscheinungen suchend, sondern offen und hell allem Segen der
    Kreatur und der Offenbarung des Herrn in Menschen, Tieren und

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    Pflanzen ergeben. Als Grenzpionier und Kolonisator bewahrt er sein
    hanseatisches Wesen im russischen Amt, wie der andere Großvater
    seine schwäbische Art in englischen Diensten. Er ist der Gründer des
    Studentenchors Livonia und liebt es als solcher, Choräle singen zu
    lassen, indes man die Bowle serviert. Bei den Gebetsstunden, die er
    selbst, nicht etwa der Geistliche oder der Organist des Städtchens
    abhält, erscheinen ohne Unterschied die Barone der Umgebung wie
    die Handwerksmeister und -burschen der Nachbarschaft. Man muß
    bei diesen Gebetsstunden oft herzlich lachen über die naive, direkte,
    urwüchsige Art des Herrn Doktor; denn es kann ihm bei seiner
    Hitzigkeit begegnen, daß er den falschen Spruch anzieht, wie er
    seine Patienten mitunter von einem gesunden statt vom kranken
    Zahne befreit. »Mein Heiland«, sagte er, »liebt frohe Kinder, und
    warum soll ich denn nicht lachen und jubeln, da ich so reich bin,
    weiß ich doch, daß ich meinen Heiland habe.«
    Mit fünfzig Jahren noch läuft er Schlittschuh; schon in den
    Achtzigern, findet man ihn zum Entsetzen hoch oben im Gipfel eines
    Apfelbaums, wo er im Begriff ist, einen Ast abzusägen, den er, als
    Fallschirm benutzend, beim Sturz mit herunterbringt. 1847 wird als
    letztes von fünf Kindern des Dichters Vater geboren, der elf Jahre
    später nach Reval ins Haus des Barons von Stackelberg gebracht
    wird. 1868 reist Großvater Hermann nach Worms, wo er mit Kaiser
    Wilhelm und dreißigtausend Deutschen das Lutherdenkmal einweihen
    hilft; dann nach Basel, wo er seinen inzwischen Missionar und Lehrer
    der Basler Mission gewordenen Herzens-Johannes umarmen kann.
    Am 11. August
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