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Herbstvergessene

Titel: Herbstvergessene
Autoren: dtv
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ich schaffte es nicht, er war zu schwer. Ich zog und zerrte an ihm, hievte ihn auf eine Planke und endlich landete er mit einem dumpfen Aufschlag im Kofferraum.
    Die ligurische Nacht um mich her war schwarz und kühl und ein sachter Wind strich über mein schweißnasses Gesicht. Im Gebüsch raschelte es, das mussten kleine Tiere sein. Ich sah mich um. Die Dunkelheit und Stille um mich her kamen mir mit einem Mal unheimlich vor, eine mit den Händen zu greifende Bedrohung. Und erst in diesem Moment wurde mir bewusst, was ich getan hatte. Ich begann am ganzen Leib zu zittern. Ich hatte einen Menschen getötet, das Leben eines Mannes einfach ausgelöscht. Ich starrte auf die reglose Gestalt im Kofferraum. Ich hatte es tatsächlich getan. Irgendwann ließ das Zittern nach und ich griff nach der Decke, die ich immer im Auto hatte, und breitete sie über ihn. Meine Hände zuckten und ich hatte kaum Kontrolle über meine Bewegungen. Irgendwann wurde ich ruhiger, ich spürte die tiefe Erschöpfung in mir und alles war auf einmal unwirklich. Dann ging ich zurück ins Haus, holte sein Gepäck und seine Kleider, löschte die Lichter und startete den Wagen.
    Die Fahrt zum Meer werde ich nie vergessen. Ich saß da, mit beiden Händen das Steuer umklammernd wie eine Ertrinkende, und tastete mich auf der schmalen und kurvenreichen Straße durch den endlosen ligurischen Wald. Und es war gerade so, als wäre ich der einzige Mensch in einem Meer aus Bäumen. Erst als ich auf die Küstenstraße bog, begegnete ich einem anderen Fahrzeug, einem einzigen nur, das hinter mir wieder in die Dunkelheit tauchte wie ein Schemen.
    Der Parkplatz am Punto delle Meraviglie lag damals noch direkt am Meer. Und so fuhr ich den Wagen an den Abgrund heran, so nah es ging. Ich löschte die Scheinwerfer, stieg aus und lauschte. Nur die sanfte Brandung tief unter mir schwoll an, ebbte ab, schwoll wieder an in ihrem ewigen Rhythmus von Kommen und Gehen. Als ich ihn unter dem Geländer hindurchzerrte, hätte ichfast das Gleichgewicht verloren und wäre mit ihm in die Tiefe gestürzt. Doch dann hörte ich nur noch ein Schleifen, ein paar Steine, die herunterpolterten, und schließlich – nichts mehr.
     
    Am Ende löst sich das Leben einfach in nichts auf. Die Natur holt sich alles zurück, Holz, Blätter, Körper, die zu Erde werden. Sorgen und Nöte, die einfach verpuffen, Hoffnungen, die zu Staub zerfallen, glückliches Lachen, das verhallt in Raum und Zeit, ohne ein Echo. Und auch das Böse vergeht und zurück bleibt nichts. Kein Bedauern, keine Angst, keine Gewissensbisse. Es ist, als habe es nie existiert. Manchmal habe ich mich gefragt, ob es nicht auch einen anderen Weg gegeben hätte, eine andere Lösung. Und natürlich komme ich am Ende immer zu derselben Antwort. Nein.

 
    Ich erwachte, weil ich glaubte, ein Geräusch zu hören. Ich lauschte eine Weile reglos in die Dunkelheit hinein, den Atem anhaltend, doch nichts folgte. Ich musste mich getäuscht haben. Die Leuchtzeiger meines Reiseweckers standen auf kurz nach drei. Die Zeit der schwarzen Gedanken, hatte ich irgendwo einmal gelesen. Ich drehte mich um, schloss die Augen und nickte wieder ein. Bilder und Zerrbilder lösten einander ab, ein totes Kind, in den Armen einer blassen Frau, die keine Augenbrauen mehr hatte. Mutter, die ein Buch in der Hand hielt und lachte. Eine nackte, verkrümmte Gestalt, auf dem Boden liegend in einer Lache aus Blut, das die Farbe von Rost hatte. Ich schreckte auf. Da war es wieder, das Geräusch! Wie das gedämpfte Knirschen von Schritten auf Kies. Das Schlafzimmer lag zum Tal hin, also von dem mit Kies bestreuten Vorplatz abgewandt. Doch da ich immer bei geöffnetem Fenster schlief – anders hatte ich das Gefühl zu ersticken   –, war es auch jetzt gekippt. Ich hielt erneut den Atem an, alle Sinne aus Äußerste geschärft. Es gab keinen Zweifel, ich hörte Schritte, da draußen war jemand, der langsam und leise – aber nicht leise genug – um das Haus herumging. Vorsichtig drückte ich das Fenster zu und verriegelte es. Ich versuchte mich zu erinnern, ob ich am Vorabend – nach der Lektüre – daran gedacht hatte, die Haustür abzuschließen. Ja, ich glaubte mich zu erinnern, und ich wusste auch, dass der Schlüssel wie üblich in der blauen Tonschale auf dem dreibeinigen Tischchen in der Diele lag. Ich schlug die Decke zurück und ging barfuß in den vorderen Teil des Hauses, in die Richtung, aus der ich die Schritte vernommen hatte. Seitlichnäherte
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