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Herbstfrost

Herbstfrost

Titel: Herbstfrost
Autoren: Georg Gracher
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plaudern
begann, habe ich schnell das Interesse verloren. Aber der Journalist behauptete
wohl, die von ihm recherchierten und von der Polizei längst ad acta gelegten
Todesfälle seien allesamt kaschierte Meuchelmorde gewesen. Verschiedene
Todesarten, aber einheitliches Tatmuster. Außerdem stellten sie nur die Spitze
des Eisbergs dar. Klarer Fall von übertriebener Sensationsmache, dachte ich
damals. Nach dem heutigen Tag stehe ich der Theorie allerdings nicht mehr so
skeptisch gegenüber.«
    »Aber den Namen von Maybaums Bekanntem wissen Sie?«
    »Nicht nur den Namen. Ich kenne ihn persönlich. Es ist Paul
Basidius.«
    Jacobis Miene verdüsterte sich. »Doch nicht etwa der Abgeordnete
Paul Basidius?«
    »Sie sagen es.«
    Die Verdammten des Hieronymus Bosch hätten nicht jammervoller
dreinschauen können als der Terrier.

SECHS
    Am nächsten Morgen in Salzburg hatten Jacobi und Oberst
Anselm Waschhüttl, sein unmittelbarer Vorgesetzter, einen Termin bei
Sicherheitsdirektor Hofrat Dr. Kandutsch. Um Punkt neun ließ sich Jacobi
von Kandutschs Sekretärin anmelden.
    Das Büro des SIDI war das größte im
Präsidium des Landesgendarmeriekommandos und verdiente eher die Bezeichnung
Reitschule. Nur wenige Räumlichkeiten am Franz-Hinterholzer-Kai Nummer 4
beeindruckten mit solcher Weitläufigkeit, in den Büros des Fußvolks herrschte
zumeist drangvolle Enge. Alles in der Kanzlei war riesenhaft: die nach Osten
zur Salzach blickenden Fenster, die beiden Ölschinken an den Seitenwänden, die
Motive aus der fürsterzbischöflichen Vergangenheit Salzburgs zeigten, die zwei
Philodendren in den Zimmerecken und der Schreibtisch, auf dem sich das Telefon
und ein Schnellhefter beinahe verloren.
    Der korrekte Waschhüttl war bereits an Ort und Stelle und saß
Kandutsch gegenüber – nicht am Schreibtisch, sondern in der gemütlicheren
Sitzecke rechts vom Eingang, wo der SIDI um diese
Tageszeit stets sein zweites Frühstück einzunehmen pflegte. Pünktlich um acht
Uhr fünfundvierzig wurde es ihm von der Kantine serviert. Ein Ritual, das in
sechs Monaten sein Ende finden würde. Kandutsch stand kurz vor der
Pensionierung.
    Eben deshalb sah Jacobi für seinen Antrag schwarz. Kandutsch war ein
sympathischer älterer Herr, humanistisch gebildet und von einer Leutseligkeit,
die Untergebene zumeist als angenehm empfanden. Aber würde er unmittelbar vor
dem Ruhestand seine, Jacobis, Theorie auf ihren Wahrheitsgehalt hin untersuchen
lassen? Eine Theorie, die Verbrechen unterstellte, wie sie nur aus der NS -Zeit bekannt waren?
    Und selbst nach einem allfälligen Placet Kandutschs würden noch
etliche Hürden zu überwinden sein. Eine der kleineren würde im Mammutprogramm
an zusätzlicher Arbeit für das Referat 112 bestehen. Eine effiziente SOKO müsste gebildet und unzählige archivierte Fälle
müssten neu aufgerollt werden. Die dabei geforderte Akribie würde die
Frustrationstoleranz so manches Kollegen bis aufs Äußerste strapazieren.
Dennoch wären die internen Schwierigkeiten mit Geduld und Spucke zu bewältigen.
Die größeren Hürden waren externer Natur. Die heimischen Exekutivbehörden waren
wie überall auf der Welt unentwirrbar in den politischen Filz verstrickt.
Logische Folge: ein Kompetenzgerangel kakanischer Prägung! Die Angst vor den
Medien und vor Panik in der Bevölkerung konnte die Ermittlertätigkeit dann
vollends zum Erliegen bringen.
    Aber die allergrößte Hürde saß freilich hier am Tisch und sah
Kandutsch beim Frühstücken zu. Sollte der SIDI wider Erwarten grünes Licht geben, würde Waschhüttl an ihm vorbei Kontakt mit
Wien aufnehmen, woraufhin man dem Referat 112 die Untersuchung der
Altenmorde entziehen und sie der Stapo beziehungsweise der EDOK übertragen würde.
    Doch all die Bedenken sah man Jacobi nicht an. Die stereotype
Leichenbittermiene war sein standardisierter Gesichtsausdruck. Kandutsch gab
seinen Gruß freundlich zurück und bat ihn, Platz zu nehmen. Waschhüttl rang
sich ein kaum wahrnehmbares Kopfnicken ab. Er mochte den um zehn Jahre jüngeren
Kollegen nicht, was auf Gegenseitigkeit beruhte. Jacobi hatte sich mit
Radfahrertypen immer schwergetan. Er selbst war unter der Ägide seines Gönners
Vogt innerhalb weniger Jahre zwei Mal befördert worden, Waschhüttl hatte darauf
keinen Einfluss gehabt. Doch kaum hatte sich Vogt in den Ruhestand
verabschiedet, begann Jacobi auf der Stelle zu treten, und seine
Ermittlungserfolge wurden von nun an auffällig oft der umsichtigen
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