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Herbstfrost

Herbstfrost

Titel: Herbstfrost
Autoren: Georg Gracher
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knallrot an und blickte entsetzt zum Chef hinüber.
»N…nein, natürlich nicht! Darauf wollte ich natürlich nicht hinaus.«
    »Schon gut, Werner«, beruhigte ihn Jacobi. »Lass dich von Dr. Vogt
nicht aufziehen. Was du da gesagt hast, enthält durchaus ein Körnchen
Wahrheit.«
    »Ein Körnchen?«, entrüstete sich Sarah Feldbach. »Ich würde eher
sagen, Herr Wegener hat gerade das Kernproblem unsrer abendländischen
Gesellschaft angesprochen: die Entsolidarisierung als Folge des ständig
gepredigten Egoismus und Hedonismus! Das Infragestellen des
Generationenvertrags ist eins unsrer vielen sozialen Paradoxa: Obwohl die
sogenannten Alten ein immer wichtigerer Wirtschaftsfaktor werden, verdrängt man
sie gleichzeitig immer stärker aus dem kollektiven Bewusstsein. Rolf und
Konsorten sind vielleicht Extremisten, haben aber nur das ausgesprochen, was
diese Spaß- und Augenblicksgesellschaft sowieso schon denkt: Alte Leute sind
eine Last. Sie bringen dem Staat nichts, kosten ihn aber viel.«
    »Weil Sie gerade Rolf erwähnt haben«, knüpfte Vogt an und blickte zu
Jacobi, »hat man ihn, Gerd und Otti schon erwischt?«
    Der Gefragte schüttelte den Kopf. »Nein. Sie sind spurlos
verschwunden.« Wieder fixierte er sein Sektglas. »Und wenn ich sage spurlos , dann meine ich auch spurlos .
In den letzten Tagen sind sie von mehreren Leuten gesehen worden, aber niemand
kennt sie, und niemand hat sie beim Wegfahren beobachtet. Nach deinem
Funkspruch habe ich sofort Gasteiner Kollegen in die Klamm beordert. Umsonst.
In den letzten zwei Stunden keine Spur von drei Jugendlichen in schwarzen
Klamotten im Klammtunnel.«
    Vogt winkte ab. »Wahrscheinlich haben sie sich getrennt, vielleicht
sogar die Kleidung gewechselt. Sind einzeln mit der Bahn gefahren oder irgendwo
untergekrochen. Gibt dir das nicht zu denken? Diese Gründlichkeit – selbst nach
einem Misserfolg! Welche primitive Gang würde schon ein derartiges
Sicherheitsnetz für ihre Mitglieder aufziehen? Und hast du schon vergessen, was
Gerd gesagt hat? Es ist ihnen verboten, mit Delinquenten zu sprechen. Das sind
Strukturen, Oskar, ich sag dir, das ist nicht nur ein zusammengewürfelter
Haufen von Verrückten. Aber vielleicht solltest du uns einmal erklären, wie du
Organisation definierst.«
    »Wir sollten jedenfalls nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen,
solange wir nicht mehr wissen«, versuchte Jacobi abzuwiegeln.
    »Psychopathen sind keine Spatzen«, entrüstete sich Sarah Feldbach
erneut. »Dr. Vogt hat mir absolute Diskretion auferlegt. Eine Sünde für jede
freie Journalistin, aber ich werde mich dran halten. Spielen Sie also die
Gefährlichkeit von Rolf & Co. nicht herunter. Viel eher sollten Sie in mir
eine Verbündete sehen. Möglicherweise habe ich sogar einen Tipp für Sie.«
    »Einen Tipp?« Jacobis buschige Augenbrauen wanderten fast bis zu
seinem Haaransatz hinauf.
    »Genau! Einen Tipp, der Ihnen vielleicht weiterhilft.« Er hatte sich
die Skepsis wohl allzu deutlich anmerken lassen, denn augenblicklich legte sie
nach: »Sie glauben mir nicht? Dann werde ich Ihnen wohl das Gegenteil beweisen
müssen.«
    Sie trank einen Schluck Sekt, stellte das Glas etwas zu heftig auf
den Tisch zurück und blickte die Männer der Reihe nach an, ehe sie ihren Tipp
preisgab.
    »Vor circa einem halben Jahr führte ich ein sehr sonderbares
Gespräch mit einer Freundin. Ich hätte mich nie mehr daran erinnert, wenn ich
heute nicht diesen Alptraum erlebt und Dr. Vogt mir nicht vom Seniorenheim
Cermak berichtet hätte. Damals hab ich das, was Ruth Maybaum mir erzählt hat,
für eine Spinnerei ihres Bekannten gehalten und deshalb nur mit halbem Ohr
zugehört.«
    »Ruth Maybaum? Die TV -Moderatorin?«,
fragte Wegener atemlos.
    Sarah Feldbach nickte. »Genau die, junger Mann. Befreundet bin ich
eigentlich mit der Mutter, Ruth treffe ich nur gelegentlich. Aber eben bei
einem dieser Treffen erzählte sie mir, dass ein Bekannter Kontakt zu einem
Journalisten habe, der ungeklärte beziehungsweise aufklärungsbedürftige
Todesfälle nachrecherchiert.«
    »Das tun hunderte Journalisten«, sagte Jacobi wenig begeistert.
    »Aber in diesem Fall betreffen die Todesfälle Senioren, die alle das
fünfundsechzigste Lebensjahr überschritten hatten«, schob sie nach.
    »Der Name des Journalisten?« Der Terrier alias Jacobi nahm Witterung
auf. Aber Sarah Feldbach schüttelte den Kopf. »Ruth hat keinen Namen genannt,
und ich habe nicht danach gefragt. Ich sagte schon: Als sie davon zu
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