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Herbstfraß

Herbstfraß

Titel: Herbstfraß
Autoren: Sandra Busch
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leise.
    Er lehnt seinen Kopf gegen meine Brust, damit ich seine Bewegung spüre. Zu meiner Erleichterung nickt er. Irgendwo in der Dunkelheit, die mich aufgrund des Tapes um meine Augen immer noch umgibt, fällt ein Sack mit einem dumpfen Laut auf den Boden. Ein Schauer läuft mir über den Rücken. Kein Sack. Ein toter Körper. Ingo! Schleifgeräusche dringen an meine Ohren. Bestimmt zieht Nolte die Leiche seines Stiefsohns zu den anderen Toten hinüber. Damit wird ein Platz auf Noltes großartiger Bühne frei. Angstvoll verknotet sich mein Magen. Bo knurrt inzwischen wie ein wütender Dobermann. Was sieht er, was ich nicht sehe? Und … würde ich es überhaupt sehen wollen? Noltes Schritte nähern sich. Ich schlucke trocken und versuche durch meine nicht gehandicapten Sinne herauszufinden, was dieser Psychopath vorhat. Unvermittelt packen mich Hände unter den Achseln. Ich heule auf, als neuer Schmerz durch meinen Arm schießt. Unsanft und wehrlos werde ich zu Bos ohnmächtigen Lauten über den Betonboden gezerrt.
    „Aufstehen!“ Nolte gibt mir Hilfestellung und so gelingt es mir, trotz der zusammengeklebten Knöchel auf die Füße zu kommen. Zitternd stehe ich in Noltes Griff da – völlig orientierungslos – bis ich einen Stoß erhalte. Mit einem Aufschrei kippe ich in der Gewissheit vorwärts, gleich mit dem Gesicht auf den Boden zu schlagen. Stattdessen pralle ich einen Sekundenbruchteil später gegen eine Wand. Ich habe gar nicht gemerkt, dass ich so dicht davorstehe. Aufatmend lehne ich mich mit der Schulter gegen den kalten Beton, um nicht ermattet zu Boden zu sacken. Einen Augenblick später legt sich etwas Kaltes um meinen Hals. Es ist etwa handbreit und fühlt sich fest an.
    „Was ist das? Was tun Sie da?“
    „Ich lege dich an die Kette, Robin“, antwortet Nolte bereitwillig.
    Demnach hat er mich tatsächlich gegen Ingo ausgetauscht. Diese bizarre Situation irritiert mich, weil ich weiterhin nichts erkennen kann. Mir ist bisher nie bewusst gewesen, wie sehr man auf seine Sehkraft angewiesen ist. Insbesondere wenn der eigene Freund hysterische Geräusche von sich gibt. Was passiert denn gerade?
    „Herr Nolte?“, frage ich unsicher.
    „Warum so förmlich?“, antwortet er mir. Seine Position muss etwa einen halben Schritt hinter mir sein.
    Ich atme tief durch, huste einen endlosen Moment lang und sage schließlich: „Dann eben Rainer. Wieso …“
    „Rambo.“ Er unterbricht mich ziemlich empört und ich verstehe überhaupt nichts mehr. Rambo? Meint er etwa Sylvester Stallones Rambo? Natürlich kenne ich diesen One Man Army-Actionfilm um den heldenhaften Vietnamkämpfer John Rambo. Jeder kennt ihn. Aber was hat dieser Film mit dieser Situation zu tun?
    „Bitte was?“
    „Mein Name ist Rambo, nicht Rainer. Rainer sitzt zu Hause bei seiner angetrauten Antonia oder arbeitet in seinem Büro. Rambo dagegen liebt es zu spielen. Merk dir das gut, Robin. Solltest du Fehler in diesem Spiel begehen, wirst du es bereuen müssen.“
    Alles klar. Der Typ hat nicht mehr alle Latten am Zaun. Mit einem Mal kommt mir in den Sinn, dass Rambo am Anfang des Films von den Hilfssheriffs physisch misshandelt worden ist. Hat mein privater Vorstadtrambo etwa vor, den Spieß umzudrehen? Quasi um eine verkorkste Form der Rache für seinen Filmhelden zu nehmen? Oh verdammt! Ich will hier raus!
    „Okay, Rambo. Wie wäre es, wenn wir über diese ganze Geschichte noch mal überdenken? Warum bindest du mich nicht los und wir diskutieren dein Spiel in aller Ruhe?“ Meine Stimme klingt heiser und kieksig. Wie die eines Teletubbies.
    Nolte kichert. Die Klinge seines Messers schneidet das Panzertape an meinen Händen durch. Ich atme auf. Er befreit mich! Endlich kommt er zur Vernunft und wir können miteinander reden. Wie man sich irren kann, erlebe ich eine Sekunde später. Gerade als sich meine Armmuskeln dankbar entkrampfen wollen, werden meine Handgelenke nach vorne gerissen und vor meinem Bauch zusammengeklebt. Bei dieser ruckartigen Bewegung kreische ich gemeinsam mit sämtlichen malträtierten Muskelsträngen um die Wette. Es fühlt sich wie Tausende von beißenden Ameisen an, die auf meinen Schultern, Armen und Nacken sitzen und mich foltern. Und sie scheinen auch in der Schusswunde herumzukrabbeln und in deren blutigen Tiefen herumzubohren. Ich ringe am Ende meiner Kräfte nach Atem, huste und huste weiter, was fürchterlich in meinem trockenen Hals kratzt. Außerdem müsste ich dringend aufs Klo, obwohl das den
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