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Herbst

Herbst

Titel: Herbst
Autoren: Rainer Maria Rilke
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kommen wie die Gnade zu einem großen Gedicht, ein Mensch scheint mir fast unfähig sie zu bringen, sie müßte ihm denn, ohne daß er es ahnt, anvertraut sein. Dieser zerrissene Herbst trägt so viel dazu bei, alles schwerer zu machen; in dieser Jahreszeit eine gewisse Ruhe und Sättigung wahrzunehmen, die ganze Ergeblichkeit des Sommers in der stillen befriedigten Last der Früchte anzuschauen, anzufassen, – das ist fast mehr, als der Antheil am Sommer selbst, der uns nie ganz in sich hinein bezieht. Der Herbst erst, wenn er seine Abschlüsse macht, stellt eine Art Gleichung her, ein Gleichnis, in dem der vorkommt, der gesäet und gejätet, gewartet und aufgebunden hat, der Geduldige, der Hoffende. Heuer sind Sommer und Herbst wie riesige Spiegel, durch die ein Sprung gegangen ist: und nun weiß man nicht, ob dieses Zerschlagensein das Bild des Weltalls verzerrt, oder ob es sich wirklich seltsam entstellt darüberneigt. Verfrüht, in eigenthümlicher Hast, haben die Zugvögel sich versammelt, aufgeregt, als ob sie sich Gerüchte mitzutheilen hätten, die Berathung war kurz, die Vorübung eilig –, und als wollten sie nicht wiederkommen, fast ohne Abschied, stoben sie in die unstäten Lüfte hinaus. Die Früchte fühlten sich nicht wohl im Reifen und baten, von den Bäumen genommen zu sein,
wie ein Kind, das, plötzlich vorfiebernd, nicht im Bad bleiben will oder auf seinem lieben Schaukelpferd. Und die Weinlese, ach, die Weinlese, die es hier, vor lauter Angefülltsein in den tausend Trauben bis zur Körperlichkeit bringt sonst –, diese starke nackte Person, deren Lachen aus dem Glanz von Trauben gemacht ist, – sollte man sie beschreiben, diese arme vendange, wie sie heuer aussieht: ein halbwüchsiges kümmerliches Geschöpf, ein bischen idiotisch, in zerfetzten Wolken dastehend und jämmerlich an ihen paar Trauben klaubend, die sich in sich zurückgenommen haben seit Wochen. Soviel, Liebe, von uns, dem Wallis und mir, im Herbste 1924, einer uns recht gemeinsamen Jahreszeit.
    Wunderly II (4. 10. 1924), 1022f.
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    Weinbergterrassen, wie Manuale:
Sonnenanschlag den ganzen Tag.
Dann von der gebenden Rebe zur Schale
überklingender Übertrag.
    Schließlich Gehör in empfangenen Munden
für den vollendeten Traubenton.
Wovon ward die tragende Landschaft entbunden?
Fühl ich die Tochter? Erkenn ich den Sohn?
    Werke II , 147
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    Guten Herbst. Auch hier strahlts heute nochmal, nur sind die Bäume schon sehr weit, in der Stadt sah ich einige leere. Und vor dem Winter fürcht ich mich, ich kanns nicht leugnen.
    Vollmoeller (17. 9. 1915), 124
    Bangnis
    Im welken Walde ist ein Vogelruf,
der sinnlos scheint in diesem welken Walde.
Und dennoch ruht der runde Vogelruf
In dieser Weile, die ihn schuf,
breit wie ein Himmel auf dem welken Walde.
Gefügig räumt sich alles in den Schrei:
Das ganze Land scheint lautlos drin zu liegen,
der große Wind scheint sich hineinzuschmiegen,
und die Minute, welche weiter will,
ist bleich und still, als ob sie Dinge wüßte,
an denen jeder sterben müßte,
aus ihm herausgestiegen.
    Werke I , 396
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    Meine liebe Fürstin,
    mein Schweigen ist nicht Trägheit und nicht Herzensvergeßlichkeit, – es ist eine Verzauberung, in der ich immer erstarrter drin stehe, Salzsäule oder Stein, ich weiß nicht, was ich noch werden soll. Die Briefe häufen sich auf meinem Schreibtisch, aber mir scheinen unbeschreibliche Kräfte nöthig, um eine Feder in Bewegung zu setzen, ein ganzes Räderwerk. Meine Mühle steht, ach, wie lange steht meine Mühle, der schöne Strom, der über sie stürzte, ist zu Eis geworden, daran konnte ein Sommer nichts ändern, der draußen vorüberging, ohne mich irgendwie zu berühren. Nun allerdings, da eine frühe Herbstlichkeit ihn abzulösen beginnt, traur ich ihm nach, obwohl er mir nichts gebracht hat, und merke, wieviel Hoffnung ich darauf gesetzt habe, daß die Jahreszeit mich irgendwie mitnehmen, mitreißen und erfüllen würde, ein Gleichnis der Natur her
vorbringend in meinen ariden Fähigkeiten. Im Mündlichen gelingt es mir noch manchmal, lebendig zu sein und den Brennpunkt in mir zur Strahlung einzustellen, darum ist es so arg schade, daß damals aus Ihrer Reise nichts geworden ist; was ich zu einem Briefe zusammentrage, ist so spreuig und welk, daß ich, wo ich
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