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Herbst

Herbst

Titel: Herbst
Autoren: Rainer Maria Rilke
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mich zu einem überwinde, eher Trennung stifte als Mittheilung: denn wie sollen auch die nächsten Freunde mich in dieser Zeilen-Mühsal und Unbeholfenheit erkennen?
    Taxis II (6. 9. 1918), 557f.
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    Auch heute gab es Sonne bis zur Dämmerung; ein Fensterflügel konnte sogar offen stehen und nun war die Gartenstille übersetzt in dem Rauschen der Fontäne, auf das ich unermüdlich einzugehen vermag und dem ich folge in allen seinen Veränderungen: wie spannend jedesmal ist der Augenblick, wenn ein Eingriff der Luft den stürzenden Strahl von der einen Teichseite nach der anderen hinüberzieht, durch seinen eigenen Aufstieg durch, so daß er den Bruchtheil einer zögernden Minute unhörbar in sich selber fällt; und wie dann, über jeder Veränderung, sein Niederfall anders aufklang, das war von so reicher Abwandlung, daß ich neidisch wurde auf mein Gehör und noch obendrein hinaussah. Die Gestalt des Strahls war nicht weniger überraschend als seine Vertonung. Sie stand fast weiblich da auf dem runden hell blendenden Wasserkreis, um den herum die übrige Fläche des Teichs dunkel und offen spiegelnd ausgebreitet war; fast feierlich der Park, in der Tiefe offen gegen den verblassenden Irchel, blässer darüber und rasch abendlich nachgebend, der Himmel, das schmale neue Mond-Viertel oben, durchglänzend durch den Rand der Tanne – –: wie Sie das alles erkennen werden! Der zu
nehmende Mond: so neu –, plötzlich empfand ich ihn als ein Zeichen des Anfangs, wie er so in der Mitte meines stillen Ausblicks stand; aber zugleich kam ich mir schon so völlig an meinem Standort befestigt vor, daß ich beinahe begriff, wie die Anspielung auf ein nun Beginnendes nur noch so allgemein möglich war und mit jener offenbaren Diskretion, die die des Himmels ist.
    Schweizer Freunde (Lily Ziegler, 14. 11. 1920), 127f.
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    Liebe Fürstin, was hab ich nur mit diesem Herzen, meinem, für Mißbrauch getrieben, daß es jetzt nicht Zeugnis giebt von unserer Tröstbarkeit! Ich hab Ihnen die letzten Jahre sooft anklagend von diesem Herzen gesprochen, schmähend, es herabsetzend unter die mindesten –, aber immer noch zu gut, immer noch zu hoffnungsvoll. Könnt ich sagen von ihm, daß es von Bitternis überfließt, daß es starr ist vor Schmerz, aber nein, als ob sein Inhalt einfach zu unförmigen Klumpen geballt sei, so trag ichs herum. Es giebt einen Ausweg, dies krank zu nennen, und manchen Tag bin ich auch wirklich nichts als das, krank, das ist wenig, und bilde mir ein, der gute Stauffenberg hätte das ändern können; denn dazu war ich ja hierhergekommen. Vor einem Jahr, – vor diesem Jahr! Sie sehen schon, theuere Fürstin, heute ists nicht mit mir auszuhalten, ich wollte, wir säßen in Ihrem Boudoir in Duino oder oben im Versteck der Kapelle, wo ich Ihnen aus meinem Taschenbuch vorlas, denn mündlich stöhnen ist immer noch rücksichtsvoller, aber Stöhnen auf dem Papier ist feige, ich weiß – – und trotzdem … .
    Fürstin, ich räthselte im Stillen wie alle Welt über die gemeinsame Zukunft, unser aller, ob ich gleich da auf weniger Voraussetzungen angewiesen bin, als irgend ein Ecken
steher, denn die Geschichte ist mir dunkel, auch vermuth ich, es ist gar nicht die Geschichte, was man wissen und woraus man schließen könnte, sondern eine wunderliche Auswahl aus Zufälligem und Gesetzmäßigem, in der der Mensch sich erkennt, weil das fortwährende Durcheinander von beidem ihm das vertrauteste Gefühl ist. Aber nun wird es so plötzlich, überholend Herbst, wenigstens hier, ich sehe von fremden Fenstern aus die Baumufer an der Isar gilben und die Gelb, unter dem kalten Regen, nehmen nicht der Reihe nach zu, sondern es sind schon gleich vorletzte Töne da, dann kommt der Blätterfall. Diese Regennächte und dieser Winter vor der Thür –, da schießt mir die ausgebreitete Noth zur eigensten zusammen, zur Rathlosigkeit vor meinem eigenen Morgen und Übermorgen, – wohin wohin? Ein münchner Jahr ist vorüber, ich habe nicht viel damit angestellt, im Gegentheil, ich komme mir in jeder Beziehung zurückgegangen vor, wie thu ichs nun besser? Mein Inneres ist so unwirtlich, daß ichs gar nicht unternehmen kann, Sie darin herumzuführen, ja es ist wahrscheinlich verstellt und
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