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Herbst

Herbst

Titel: Herbst
Autoren: Hermann Hesse
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mehr, und mein Herz wurde still und ruhte unbewegt, wie ein Vogel in großen Höhen.
    Da sah ich mit Lächeln und wiederkehrender Wärme Straßenkrümmen, Waldkuppen und Kirchtürme der vertrauten Nähe; das Land meiner schönen Jünglingsjahre blickte mich unverändert mit den alten Augen an. Wie ein Soldat auf seiner Landkarte den Feldzug von damals aufsucht und überliest, von Rührung so sehr wie vom Gefühl der Geborgenheit erwärmt, las ich in der herbstfarbenen Landschaft die Geschichte vieler wundervoller Torheiten und die schon fast zur Sage verklärte Geschichte einer gewesenen Liebe.
    (Aus: »Eine Fußreise im Herbst«, 1906)
/ DAS TREIBENDE BLATT /
    Vor mir her getrieben
Weht ein welkes Blatt.
Wandern, Jungsein und Lieben
Seine Zeit und sein Ende hat.
    Das Blatt irrt ohne Gleise
Wohin der Wind es will,
Hält erst in Wald und Moder still …
Wohin geht meine Reise?
/ HERBSTGERUCH /
    Wieder hat ein Sommer uns verlassen,
Starb dahin in einem Spätgewitter.
Regen rauscht geduldig, und im nassen
Walde duftet es so bang und bitter.
    Herbstzeitlose starrt im Grase bläßlich
Und der Pilze wucherndes Gedränge.
Unser Tal, noch gestern unermeßlich
Weit und licht, verhüllt sich und wird enge.
    Enge wird und duftet bang und bitter
Diese Welt, dem Lichte abgewendet.
Rüsten wir uns auf das Spätgewitter,
Das des Lebens Sommertraum beendet!
    // Ah, da rieche ich etwas, das Freude macht. Ein feuchter, dicklicher, fettlicher, etwas dumpfer Geruch zeigt mir Pilze an, Steinpilze, die man hier nicht allzu häufig findet, denn auch der Tessiner ißt Steinpilze sehr gern (im Risotto schmecken sie wunderbar) und sucht sie mit Eifer. Eben habe ich einen angetroffen, der schlich gespannt und lauernd wie ein Jäger an mir vorbei durchs Gehölz, den Blick scharf am Boden, in der Hand eine leichte schlanke Gerte, mit der er an jeder Stelle, die ihm etwas zu versprechen scheint, das dürre Laub beiseite fegt. Aber diesen hübschen Steinpilz hier mit dem kräftigen dicken Kopf hat er also nicht gefunden, der gehört mir; heute abend wird er gegessen.
    (Aus: »Herbst – Natur und Literatur«, 1926)
    // Es fiel mir der glänzende Herbsttag wieder ein, an dem des Dachtelbauers Turmfalk aus der Remise durchgegangen war. Der beschnittene Flügel war ihm gewachsen, dasmessingene Fußkettlein hatte er durchgerieben und den engen finsteren Schuppen verlassen. Jetzt saß er dem Haus gegenüber ruhig auf einem Apfelbaum, und wohl ein Dutzend Leute stand auf der Straße davor, schaute hinauf und redete und machte Vorschläge. Da war uns Buben sonderbar beklommen zumute, dem Brosi und mir, wie wir mit allen anderen Leuten dastanden und den Vogel anschauten, der still im Baume saß und scharf und kühn herabäugte. »Der kommt nicht wieder«, rief einer. Aber der Knecht Gottlob sagte: »Fliegen, wann er noch könnt, dann wär er schon lang über Berg und Tal.« Der Falk probierte, ohne den Ast mit den Krallen loszulassen, mehrmals seine großen Flügel; wir waren schrecklich aufgeregt, und ich wußte selber nicht, was mich mehr freuen würde, wenn man ihn finge oder wenn er davonkäme. Schließlich wurde vom Gottlob eine Leiter angelegt, der Dachtelbauer stieg selber hinauf und streckte die Hand nach seinem Falken aus. Da ließ der Vogel den Ast fahren und fing an, stark mit den Flügeln zu flattern. Da schlug uns Knaben das Herz so laut, daß wir kaum atmen konnten; wir starrten bezaubert auf den schönen, flügelschlagenden Vogel, und dann kam der herrliche Augenblick, daß der Falke ein paar große Stöße tat, und wie er sah, daß er noch fliegen konnte, stieg er langsam und stolz in großen Kreisen höher und höher in die Luft, bis er so klein wie eineFeldlerche war und still im flimmernden Himmel verschwand. Wir aber, als die Leute schon lang verlaufen waren, standen noch immer da, hatten die Köpfe nach oben gestreckt und suchten den ganzen Himmel ab, und da tat der Brosi plötzlich einen hohen Freudensatz in die Luft und schrie dem Vogel nach: »Flieg du, flieg du, jetzt bist du wieder frei.«
    (Aus: »Aus Kinderzeiten«, 1903)
/ HERBST /
    (1919)
    Ihr Vögel im Gesträuch,
Wie flattert euer Gesang
Den bräunenden Wald entlang –
Ihr Vögel, sputet euch!
    Bald kommt der Wind, der weht,
Bald kommt der Tod, der mäht,
Bald kommt das graue Gespenst und lacht,
Daß uns das Herz erfriert
Und der Garten all seine Pracht
Und das Leben all seinen Glanz verliert.
    Liebe Vögel im Laub,
Liebe Brüderlein,
Lasset uns singen und fröhlich
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