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Herbst

Herbst

Titel: Herbst
Autoren: Hermann Hesse
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einBesucher herein, nimmt sich eine davon, zündet sie an und legt sie während der Unterhaltung unauffällig in den Aschenbecher.
    Aber es gibt auch hübschere und liebenswertere Dinge in dieser Stube, es hat sich allerlei mit den Jahren angesammelt, was mir wert geworden ist. Ein Fabeltier aus Stoff steht geheimnisvoll auf einem Gesimse, ein Tier, halb Reh, halb Giraffe, mit verlorenem Märchenblick. Es ist ein Werk von Sascha, einer Malerin, sie hatte vor Jahren einmal mit mir zugleich in einer Schweizer Stadt ein Kabinett voll kleiner Arbeiten ausgestellt, und als sich am Schluß der Ausstellung zeigte, daß wir beide nichts verkauft hatten, machten wir wenigstens einen Tausch, sie bekam von mir eine kleine Malerei und ich von ihr die stille schlanke Gazelle, oder das Reh, oder wie man es nun nennen mag; es ist mir sehr lieb, es dient mir seit Jahren als einziges Haustier, ersetzt mir Pferd, Hund und Katze.
    Auch aus Indien sind Erinnerungen da, vor allem ein kleiner, grell bemalter Holzgötze und ein winziger, flötespielender Krischna aus gelber Bronze, der hat mir an manchem verregneten Winterabend indische Musik gemacht und mir geholfen, die schwierige Außenseite des Lebens nicht ernster zu nehmen, als die flüchtige Erscheinungswelt es verdient. Ferner steht, etwas verborgen, ein merkwürdiges kleines Heiligtum aus Ceylon bei mir, ein sehr altesStück, ebenfalls aus Bronze. Es ist ein Eber, und dieser bronzene Eber tat in dem primitiven Tempelchen, in dem er einst auf Ceylon stand, denselben Dienst wie im Alten Testament der Sündenbock. In diesen Eber wurden die Sünden, Krankheiten und bösen Dämonen der Gemeinde gebannt, einmal im Jahr. Er trägt den Fluch vieler mit sich, er wurde für viele geopfert. Ich denke, wenn ich ihn betrachte, nicht viel an Indien und an alte Kulte, er ist mir nicht eine Kuriosität, sondern ein Symbol, er ist für mich ein Bruder von uns Gezeichneten, von den paar Sehern, Narren, Dichtern, die in ihrer Seele stigmatisiert sind und den Fluch eines Zeitalters tragen, während die Zeitgenossen tanzen und Zeitungen lesen. Auch der Eber ist mir ein liebes Stück.
    Auf dem zerlegenen Kanapee liegen viele Kissen, und eins von ihnen gehört auch zu den Dingen, die mir lieb sind. Da ist auf schwarzem Grund ein hellfarbiges Bild gestickt: Tamino und Pamina, wie sie durch die Flammen der Feuerprobe gehen, Tamino hält sich schlank und hoch und hat die Zauberflöte am Munde. Eine Frau hat es gestickt, die mich einst liebte, und wie mir ihr schönes Kissen mit dem holden Sinnbild geblieben ist und viel bedeutet, so möge auch ihr von mir irgendein kleiner Besitz in der Seele geblieben sein!
    Von den Dingen, die mir erst in neuester Zeitzugekommen sind, schätze ich besonders eine schöne gläserne Vase in alter Kelchform, ein Geschenk meiner Freundin. Meistens stehen in diesem durchsichtigen Kelch ein paar einzelne Blumen, Zinnien oder Nelken, oder kleine sanfte Feldblumen. Als ich den Kelch zum erstenmal sah und geschenkt bekam, stand ein Strauß von hellblauem Rittersporn in ihm, ich habe ihn noch wohl im Gedächtnis, so luftig und unirdisch stand das Blau über dem blanken Glase. Damals war strahlender Sommer, und man ging abends den Wäldern entlang neben den Weinbergen, die kaum verblüht waren, und blau wie der Rittersporn hing der Sommerhimmel über uns.
    Es wird zu kalt, und der Regen nimmt zu. Es regnet in die Blumen, in die blauen Trauben, in die verfärbten Wälder. Ich muß auf den Estrich steigen und den Petrolofen suchen und vor diesem garstigen kleinen Götzen niederknien und ihm schöntun, damit er vielleicht wieder brennt und warm gibt. Die kleine Blumenvase ist leer. O wie blau und sommerlich waren einst ihre Blumen!
    (1928)
/ KLINGSOR ZECHT IM HERBSTLICHEN
WALDE /
    Trunken sitz ich des Nachts im durchwehten Gehölz,
An den singenden Zweigen hat Herbst genagt;
Murmelnd läuft in den Keller,
Meine leere Flasche zu füllen, der Wirt.
    Morgen, morgen haut mir der bleiche Tod
Seine klirrende Sense ins rote Fleisch,
Lange schon auf der Lauer
Weiß ich ihn liegen, den grimmen Feind.
    Ihn zu höhnen, sing ich die halbe Nacht,
Lalle mein trunkenes Lied in den müden Wald;
Seiner Drohung zu lachen
Ist meines Liedes und meines Trinkens Sinn.
    Vieles tat und erlitt ich, Wandrer auf langem Weg,
Nun am Abend sitz ich, trinke und warte bang,
Bis die blitzende Sichel
Mir das Haupt vom zuckenden Herzen trennt.
    // Vitznau, 8. September 1900
    Ein unsicherer, windiger Tag, mit flüchtigen
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