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Herbst

Herbst

Titel: Herbst
Autoren: Hermann Hesse
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scheinbar sicheren Anzeichen, auf Regen, auf Wind, auf Nebel, aber Tag um Tag stieg klar, golden und warm aus dem Seetal herauf; nur ging die Sonne Tag für Tag eine Idee später auf und kam nicht mehr über denselben Bergen herangestiegen, wie die Sommersonne es tat, sondern ihr Aufgangspunkt war weit verschoben, gegen Como hin – aber all dies bemerkte man nur, wenn man nachrechnete und kontrollierte. Die Tage selbst waren einer wie der andere Sonnentage, die Morgen kräftig leuchtend, die Mittage heiß und brennend, die Abende farbig verglühend. Und nun ist, nach einem ganz kurzen Wetterwechsel, der bloß zwei Tage dauerte, doch auf einmal der Herbst hereingeschlichen, und nun kann es am Mittag noch so warm und am Abend noch so golden strahlend werden, es ist doch längst kein Sommer mehr, es ist Sterben und Abschied in der Luft.



Abschied nehmend – denn morgen will ich für Monate
    fortreisen – schlenderte ich durch den Wald. Von weitem sieht dieser Wald noch ganz grün aus, in der Nähe aber sieht man, daß auch er alt geworden und nah am Sterben ist, das Laub der Kastanien knistert trocken und wird immer gelber, das feine spielende Laub der Akazien blickt zwar an manchen feuchten kühlen Waldstellen und Schluchten noch tief und bläulich, aber überall schon durchstreift und durchglänzt von welken Zweigen, an denen die grellgoldenen Blättchen einzeln schimmern und bei jedem Hauch herabzutropfen beginnen.
    Hier beim Graben, wo das welke Laub sich schon häuft, obwohl die Wipfel alle noch voll scheinen, hier habe ich im vergangenen Frühling, in der Zeit vor Ostern, die ersten zweifarbigen Blüten des Lungenkrautes gefunden, und große Flächen voll von Waldanemonen; wie roch es damals feucht und krautig hier, wie gärte es im Holz, wie tropfte und keimte es in den Moosen! Und jetzt ist alles trocken, tot und starr, das welke holzige Gras und die welken dürren Brombeerranken, alles klirrt, wenn der Wind anhebt, dünn und spröde aneinander. Nur pfeifen überall in den Bäumen noch die Siebenschläfer; die werden im Winter schweigen.
    (Aus: »Herbst – Natur und Literatur«, 1926)
/ SEPTEMBER /
    Das milde Gold auf See und Ried!
Wer es in diesen linden Tagen
Mit klugen Augen dankbar sieht,
Darf es im Herzen mit sich tragen.
/ OKTOBER /
    Die Lauten mögen mit Böllern schießen,
Für sie rinnt an der Kelter der Most;
Die Stillen aber dürfen getrost
Und ohne Lärm den Alten genießen.
/ NOVEMBER /
    Schaue trauernd, wie im Wald
Blatt um Blatt zu Boden fallt,
Deine Frau hat dir befohlen
Einzukaufen Holz und Kohlen.
/ » WENN DES SOMMERS HÖHE
ÜBER SCHRITTEN « /
    Wenn des Sommers Höhe überschritten,
Weiße Fäden in den Hecken wehen,
Schwer bestaubt am Weg die Margueriten
Mit gebräunten Sternen müde stehen,
Letzte Sensen in die Felder gehen,
Wird aus Müdigkeit und Todeswille
Über allem eine tiefe Stille,
Will Natur nach so gedrängtem Leben
Nichts mehr tun als ruhn und sich ergeben.
/ / SPAZIERGANG IM ZIMMER
    Sonderbar und unheimlich, wie auch der schönste und glühendste Sommer vergeht, wie plötzlich der Augenblick da ist, wo man fröstelnd und noch etwas verwundert in seinem Zimmer sitzt, auf den Regen draußen horcht und von einem grauen, schwachen, kühlen, strahlenlosen Licht umgeben ist, das man allzu gut wiedererkennt. Eben noch, gestern abend noch, war eine andere Welt und Luft um uns her, schwang warmes rosiges Licht über sanfte Abendwolkengefilde, sang tief und summend das Lied desSommers über den Wiesen und Weinbergen – und plötzlich erwachst du nach einer schwer durchschlafenen Nacht, blinzelst verwundert in einen grauen matten Tag, hörst kühl und stetig den Regen auf die Blätter vorm Fenster schlagen, und weißt: jetzt ist es vorüber, jetzt ist es Herbst, jetzt ist es bald Winter. Eine neue Zeit, ein anderes Leben beginnt, ein Leben in den Stuben und bei Lampenlicht, mit Büchern und zuweilen mit Musik, ein Leben, das auch sein Schönes und Inniges hat, nur ist der Übergang dazu schwer und lustlos, es beginnt mit Frieren, mit Trauer und innerer Abwehr.
    Mein Zimmer ist mit einem Male verwandelt. Einige Monate lang war es ein luftiges Obdach für die Stunden der Ruhe und der Arbeit, ein Unterstand mit offenen Türen und Fenstern, durch die der Wind und der Geruch der Bäume und der Mondschein ging, ich war in diesem Zimmer nur zu Gast, nur zu dem bißchen Ruhen und Lesen, das eigentliche Leben spielte sich nicht hier ab, sondern draußen, im Walde, am See, auf den grünen
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