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Herbst

Herbst

Titel: Herbst
Autoren: Hermann Hesse
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tun.
    Auch meine Träume schmücken sich
Und summen liebe Jugendweisen
Und tun bekränzte Heimatreisen
Und blicken still und feierlich.
    Und dennoch weiß mein tiefster Sinn:
Von meines Lebens Sonnenzeiten
Ist wieder eine im Entgleiten
Und heute, morgen schon dahin.
/ MITTAG IM SEPTEMBER /
    Es hält der blaue Tag
Für eine Stunde auf der Höhe Rast.
Sein Licht hält jedes Ding umfaßt,
Wie man’s in Träumen sehen mag:
Daß schattenlos die Welt,
In Blau und Gold gewiegt,
In lauter Duft und reifem Frieden liegt.
    – Wenn auf dies Bild ein Schatten fällt! –
    Kaum hast du es gedacht,
So ist die goldene Stunde
Aus ihrem leichten Traum erwacht,
Und bleicher wird, indes sie stiller lacht,
Und kühler wird die Sonne in der Runde.
    // So ein Herbstmorgen ist doch wie ein Kleinod, so licht und durchsichtig zartblau! In Tübingen bin ich, sooft ich konnte, um diese Zeit ausgeritten. Das geht hier nicht, aber schön ist es nicht weniger. Der Tannenwald ist duftig blauschwarz und von einem Kranz von Gebüschen eingefaßt, die in allen Herbstfarben leuchten. Dazu höre ich das Flußwehr in der Nähe rauschen. Diese stille, klare Morgenstunde, die ich für mich ganz allein habe, genieße ich jeden Tag wie ein liebes Geschenk. Wenn Du da wärest, würden wir jetzt miteinander durch den Garten bergauf an den Waldrand gehen, wo man das ganze Tal übersieht. Überhaupt – wenn Du da wärest!
    (Aus: »Ein Briefwechsel«, 1907)
    // Die Nebelmorgen haben nun wieder begonnen, schon mit Anfang September. In den ersten Tagen waren sie beengend, düster und traurig machend, solange man noch das leuchtende Blau und Rotbraun der Hochsommermorgen frisch im Gedächtnis hatte. Sie schienen kalt, stumpf, freudlos, vorzeitig herbstlich, und erweckten jene ersten, halb unbehaglichen, halb sehnsüchtigen Gedanken an Stubenwärme, Lampenlicht, dämmerige Ofenbank, Bratäpfel und Spinnrad, die jedes Jahr allzu früh kommen und die ersten Herbstschauer sind, ehe die fröhlichen und farbigen Wochen der Obst- und Weinlese sie wieder vertreiben und in ein nachdenkliches, erwärmendes Ernte- und Ruhegefühl verwandeln.
    Nun ist man schon wieder an die Seenebel gewöhnt und nimmt es für selbstverständlich hin, daß man vor Mittag die Sonne nicht zu sehen bekommt. Und wer Augen dafür hat, genießt diese grauen Vormittage dankbar und aufmerksam mit ihrem feinen, verschleierten Lichterspiel, mit ihren an Metall und Glas erinnernden Seefarben und ihren unberechenbaren perspektivischen Täuschungen, die oft wie Wunder und Märchen und fabelhafte Träume wirken. Der See hat kein jenseitiges Ufer mehr, er verschwimmt in meerweite, unwirkliche Silberfernen. Und auch diesseitig sieht man Umrisse und Farben nur auf ganz kleine Entfernungen; weiter hinaus ist alles in Wolke, Schleier,Duft und feuchtes Licht grau aufgelöst. Die ernsten, einzelstehenden, überaus charaktervollen Pappelwipfel schwimmen matt als fahle Schatteninseln in der nebeligen Luft, Boote gleiten in unwahrscheinlichen Höhen geisterhaft über den dampfenden Wassern hin, und aus unsichtbaren Dörfern und Gehöften dringen gedämpfte Laute – Glockengeläute, Hahnenrufe, Hundegebell – durch die feuchte Kühle, wie aus unerreichbar fernen Gegenden herüber.
    (Aus: »Septembermorgen am Bodensee«, 1904)
/ BUNTES LAUB /
    Noch blitzt es golden überm Baum,
Noch grün die Wiese steht,
Noch ist des Sommers Blütentraum
Nicht ganz verweht.
    Im buntgefärbten Herbstlaub regt
Sich’s fast noch wie im Mai –
Und morgen drüber der Schneewind fegt:
Vorbei, vorbei!
    // Ein satter, leise glühender Oktobertag. An den Hügeln leuchteten die Weinberge goldgelb, die Wälder spielten in den zarten, bräunlich metallischen Farben der Laubwelke, in den Bauerngärten blühten Astern von allen Arten und Farben, weiße und violette, einfache und gefüllte. Es war eine Lust, durch die Dörfer zu schlendern. Ich tat es, Arm in Arm mit meinem damaligen Schatz, ein paar unvergeßliche, selige Tage lang.
    Überall roch es nach reifen Trauben und jungem Wein. Jedermann war draußen beim Lesen oder Keltern; in den steilen Weinbergen sah man Weiber und Mädchen in farbigen Röcken und weißen oder roten Kopftüchern arbeiten. Alte Leute saßen vor den Häusern, sonnten sich, rieben die braunen, runzligen Hände ineinander und lobten den schönen Herbst.
    Freilich, in alten Zeiten hatte es noch ganz andere Herbste gegeben! Man mußte nur die Siebzigjährigen hören. Sie sprachen von fabelhaften Jahrgängen, in denen
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