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Hera Lind

Hera Lind

Titel: Hera Lind
Autoren: Männer sind wie Schuhe
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wegzumachen«. Das konnten wir selbst. Oder, um bei der Wahrheit zu bleiben: ICH selbst. Ich hatte ja sonst nichts zu tun.
    »Das wäre auch fatal, wenn du jetzt schon Großmutter würdest«, sagte Ursula Kobalik und nahm das Foto von Christian und mir von der antiken Truhe, auf dem wir mit der Fürstin Seyn oder nicht Seyn auf dem Wiener Opernball zu sehen waren. »Dann hätte det schöne Leben hier ein Ende.«
    »Aber Ursula, wo denkst du hin!« Ich schenkte ihr erneut das Glas voll, während ich immer noch beim ersten war.
    »Ick wünsch dir jedenfalls nich so ’n überfressenen Enkel, wie ick een hab.« Ursula prostete mir fröhlich zu. »Meine Tochter hat sich gerade scheiden lassen, und nun steht se mit ihrem dicken Bengel quasi auf der Straße. Jetzt müssen wir ein Haus für sie finden.« Sie winkte ab, als sei das kein Thema für mich. »Und wo isser nu, der schöne Christian?« Ursula Kobalik musterte mich kontrollsüchtig.
    »In irgend so einem Kaff namens Heilewelt«, sagte ich matt. »Da gibt er heute Abend noch ein Konzert in einer Musikschule.«
    »Wat? In so einem Provinznest? Hat der det nötig?« Fragend rieb Ursula Kobalik Daumen und Zeigefinger aneinander. »Geht es euch etwa so schlecht?«
    »Quatsch! Er fand den Namen lustig. Heilewelt.« Ich leerte hastig mein Glas. »Erst dachte ich, den Namen hat er sich nur ausgedacht, um mich zum Lachen zu bringen. Du weißt ja, wie Christian ist.«
    »Na klar. Immer ’n lockeren Spruch auf den Lippen.«
    »Aber es gibt diesen Ort wirklich. Und da er auf dem Weg lag, dachte er, er tut noch was Gutes.«
    »Aha«, sagte Ursula Kobalik. »Na, Hauptsache, der Lauser kommt morgen pünktlich zum Fest.«
    Der Lauser! Ich schluckte trocken. Aber sie war nun mal eine typische Berlinerin mit Kodderschnauze. Die reden so. Sie meinte es nicht böse, also überhörte ich es einfach.
    »Natürlich«, sagte ich resigniert und hielt fragend die leere Flasche hoch. »Sollen wir noch eine aufmachen?«

LOTTA
    Um fünf vor acht stand ich in meiner Künstlergarderobe, bereit für den Auftritt. Hundert aufgeregte Kinder saßen bereits auf der Bühne und stimmten ihre Instrumente. Ich verzog schmerzlich das Gesicht. Wie viele Möglichkeiten es doch gab, einen Ton zu verfehlen! War ich froh, dass ich wenigstens einen Profi dabeihatte! Christian Meran würde das Konzert auf jeden Fall retten, selbst wenn alles aus den Fugen geriet. Wenn er seinen »Vogel« so bravourös spielte, wie ich ihn aus dem Fernsehen kannte, konnten die anderen die reinste Kakofonie anstimmen. Nervös trippelte ich vor dem Spiegel herum und versuchte, meine Rückseite zu betrachten: Schließlich war es dieser Anblick, den das Publikum im Saal von mir bekommen würde. Wie sagte meine Mutter Margot immer? Du müsstest dich mal von hinten sehen, Kind! Kaschiere deinen Hintern. Mutter Margot meinte es nicht so: »Es ist ja nur zu deinem Besten. Man muss auch mal ein bisschen Kritik einstecken können.« Und das tat ich zur Genüge: Von Mutter Margot steckte ich Kritik ein, seit ich denken, sprechen und Tränen runterschlucken konnte. Und versuchte ihr mit meinen fünfunddreißig Jahren immer noch zu gefallen. Ihr etwas anderes abzuringen als »berechtigte Kritik«, für die ich »dankbar sein« könne. Ein banger Seufzer entrang sich meiner Brust. NEIN, ich war kein Model. Mein Hosenanzug von C &A hatte Größe vierzig. Na und? Und der länger geschnittene Blazer konnte meine, sagen wir mal, weiblichen Rundungen auch nicht komplett verbergen. Mein Hintern hielt zu mir – mit einer Treue und Loyalität, die mir nicht einmal meine nächsten Verwandten entgegenbrachten. Hatte ich mir da nicht zu viel zugemutet? Würden wir dieses schwierige Stück wirklich schaffen? Immerhin würde die örtliche Presse anwesend sein. Justus Schaumschläger vom Heilewelter Tagblatt wuselte jetzt schon in seiner unsäglichen Lederjacke hier herum und machte Fotos. Alle Eltern und Kinder zusammengenommen, die bereits im überfüllten Saal saßen, waren bestimmt nicht halb so aufgeregt wie ich. Das war das erste wirklich große Konzert in meiner eigenen Musikschule, und ich wollte es allen beweisen. Nicht zuletzt Jürgen Immekeppel, meinem Lebensgefährten, der mir damals den Kredit für meine Musikschule gewährt hatte.
    Als es klopfte, zuckte ich unwillkürlich zusammen. Oh Gott, jetzt bitte nicht irgendein Kind: »Frau von Thaaaaalgau, meine Geigensaite ist gerissen«, oder: »Ich kann mein Cello nicht finden!«, oder: »Meine
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