Hengstgeflüster (German Edition)
finsteren Gesichtsausdruck sah, mit dem er sich näherte. Sein Blick wurde weicher, als er sich zu dem Mädchen beugte.
„Lori, Schätzchen, geht es dir gut? Bist du verletzt?“ Er begann das Kind abzutasten, bis die Kleine sich seinem Griff entzog.
Hier lag also der Hund begraben, dachte Bell, als sie das unscheinbare, feingliedrige Mädchen, das nicht älter als sieben Jahre wirkte, musterte. Die Kleine hatte sich sofort zurückgezogen, als Chris sich ihr näherte.
Der verrückte Flohzirkus, der an Loris Beine geschmiegt dasaß und ihr beruhigend die Hand leckte, knurrte drohend und das Pferd warf den Kopf in die Luft und schnaubte nervös. Chris funkelte das Tier misstrauisch an.
„Ruhig, alle beide.“ Das resolute Kommando kam von der Lady und war an die aufgebrachten Tiere gerichtet. Sie gehorchten. Einfach so. Alle beide.
Hatten sich nun alle Lebewesen gegen ihn verschworen?
„Wer zum Teufel sind Sie eigentlich?“, seine Frage war natürlich an Bell gerichtet. „Eine Mischung aus Dr. Doolittle und Monty Roberts ?“
Da in diesem Augenblick der Arzt eintraf, blieb sie ihm die Antwort schuldig, obwohl diese für ihn ohnehin keineswegs befriedigend ausgefallen wäre. Wie sollte Bell ihm eine Sache erklären, die sie selber nicht begriff?
„Ich fahre mit Chrispin ins Krankenhaus“, erklärte Chris dem Mädchen. „Die Lady bleibt hier und kümmert sich in der Zwischenzeit um dich“, befahl er mit einem mahnenden Blick an Bell gewandt.
„Aber ich…“, begann Bell, verstummte jedoch sofort wieder. Sie starrten einander an. Aus Rücksicht auf die Gefühle des Mädchens ersparte sie Wild Bill eine Antwort. Damit nicht genug, setzte er dem Ganzen noch die Krone auf: „Wir beide“, Chris deutete mit seinem Zeigefinger zwischen Bell und ihm hin und her, „wir sind noch nicht fertig miteinander, also denken Sie nicht daran in der Zwischenzeit die Fliege zu machen.“ Hund knurrte und auch Bell ahnte, dass dies als Drohung gemeint war.
„Verdammter Scheiß-Tag!“, fluchte Chris und schaute sich schnell nach Lori um. „Wenn ich wieder komme, erschieß ich ihn.“ Er deutete dabei auf den Hengst. Der ließ sein Köpfchen hängen und stieß einen bekümmerten Pferdeseufzer aus. Er hatte wohl ein schlechtes Gewissen.
Durch das große, helle Fenster der geräumigen, definitiv von Frauenhand eingerichteten Küche schaute Bell gedankenverloren in den großen Innenhof hinaus, der jetzt wieder verlassen und ruhig dalag.
Lorenzo Novotny, der ortsansässige Arzt, war mit Chrispin und Chris abgefahren.
Der Hengst Tango, der die Schuld an der ganzen Misere trug, war von einer widerstrebenden Bell notdürftig versorgt worden und hatte sich dabei vorbildlich verhalten. Lori, die sich von dem Schock nur langsam wieder erholt hatte, war nach draußen gegangen um den Hund zu baden.
Was war das doch nur für eine bezaubernde Umgebung! Bell seufzte laut auf. Wäre sie nicht so voreingenommen gewesen, hätte sie diesen Ort vielleicht zu genießen gewusst. Doch in ihrer momentanen, verzwickten Situation stellten sich ihr sogleich die Nackenhaare auf, sobald sie einige ihrer längst begrabenen Gefühle zuließ.
Schon vor langer Zeit hatte Bell endgültig und unwiderruflich mit ihrer Vergangenheit abgeschlossen. Dazu zählte auch die vollkommene Erfüllung und seelische Befreiung beim Umgang mit diesem edlen und starken Geschöpf Pferd. Diese innige Vertrautheit mit einem Tier, das oft so viel mehr zu geben hatte als Menschen, nämlich bedingungslose Liebe und Treue, die niemals in Frage gestellt oder hinterhältig ausgenutzt wurde. All das und noch viel mehr konnte sie niemals wieder zulassen! Bell hatte diese Liebe und Treue damals wie einen dreckigen Putzlappen einfach weggeworfen. Es war ganz allein ihre Schuld, dass sie, als sie mit achtzehn Jahren von ihrem Zuhause geflohen war, ihre Bedürfnisse über die ihrer geliebten Stute Dessie gestellt hatte.
Damit hatte sie nicht nur ihre verblüffende Gabe im Umgang mit Tieren von einer Sekunde auf die andere verdrängt, nein, sie hatte sich auch geschworen, diese Gefühle für immer wegzusperren. Deshalb hatte sie Chris´ jungen Hengst wie eine Marionette mechanisch versorgt. Jeder ihrer Handgriffe saß. Alles was sie tat, tat sie fachmännisch und zum Wohle des Tiers, doch ohne jegliches Gefühl. Sie empfand dabei keine Befriedigung, keine Freude, ja, noch nicht einmal Trauer. Sie fühlte einfach gar nichts.
Tango war ein gewieftes, witziges und ein
Weitere Kostenlose Bücher