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Helix

Helix

Titel: Helix
Autoren: Dan Simmons
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mit der Analyse von Flaggen im Wind oder Zigarettenrauch machen können«, sagt Roth, der schon von dem Mann gehört hat.
    Esterhazy zuckt mit den Achseln. »Wenn Sie klug genug sind, können Sie es.«
    Roth beschließt, den Reporter zu spielen. »Wie viel zahlen Sie eigentlich an Energia und die russische Raumfahrtbehörde, um mitfliegen zu können?«
    Der junge Millionär zuckt mit den Achseln. »Ungefähr das Gleiche wie Denis Tito, glaube ich. Es spielt aber keine Rolle.«
    Es muss nett sein, denkt Roth, wenn man sagen kann, dass zwanzig Millionen Dollar keine Rolle, spielen. Laut sagt er: »Was wollen Sie denn in den vier Tagen da oben machen?«
    »Die Wolken anschauen.«
    Roth muss lachen. Sein Redakteur bei der New York Times hat einen Witz über jemanden gerissen, der die Oberseite der Wolken anschauen wollte, doch er unterbricht sich, weil ihm bewusst wird, dass es dem Millionär Ernst ist. »Sie zahlen wirklich so viel Geld, nur um sich die Wolken anzuschauen?«
    Esterhazy nickt, er ist immer noch völlig ernst, und beugt sich weiter vor, weil er noch etwas sagen will. »Ich bin Fachmann für die fraktale Analyse kurz vor der Destabilisierung komplexer Systeme. Wolken sind das beste Beispiel dafür. Als ich noch in New Mexico als Forscher tätig war, habe ich die Reisen zu den Konferenzen immer so organisiert, dass ich die Wolken aus dem Flugzeug von oben sehen konnte. An den Konferenzen selbst habe ich nie teilgenommen. Ich wollte nur den Flug. Als das Labor in Los Alamos das herausgefunden hat, wurden meine Anträge auf Konferenzbesuche abgelehnt. Später, nachdem ich genug Geld an der Wall Street verdient hatte, habe ich mir einen Learjet gekauft, mit dem wir über den Wolken fliegen konnten.«
    Roth nickt und denkt nach. Der Mann hat einen Hau weg. Kein Wunder, dass die Russen uns so verachten. »Wird es denn so viel besser sein, aus der Raumstation und nicht aus einem Düsenflugzeug auf die Wolken zu schauen?«
    Esterhazy starrt ihn an, als habe Roth den Verstand verloren. »Aber natürlich. Ich kann von dort aus auf Wolkenformationen herunterschauen, die Zehntausende von Quadratmeilen bedecken. Ich werde Zirrus und Stratozirrus über riesigen Gebieten des Pazifik sehen, ich kann Kumuluswolken sehen, die sich über dem Ural zwanzig Kilometer hoch aufbauen. Natürlich wird es besser sein. Es wird einzigartig sein.«
    Roth nickt zweifelnd.
    Esterhazy packt seinen Arm. »Ich meine es ernst. Stellen Sie sich einen Mathematiker vor, der versucht, das Universum durch das Studium von Wellen zu verstehen – gleichförmige Wellen, Meereswellen. Aber Sie können die Wellen nur von einem Punkt fünfhundert Fuß unter Wasser sehen. Ist das nicht verrückt? So sieht aber die fraktale Analyse von Wolkenformationen aus, wenn man sich innerhalb der Atmosphäre auf der Erde befindet. Wir sitzen auf dem Grund eines Brunnenschachts.«
    »Aber es gibt doch Wettersatelliten …«, beginnt Roth.
    Esterhazy schüttelt den Kopf. »Nein, nein, nein. Die ganze Mathematik, ganz zu schweigen von der Chaosforschung, ist zu siebzig Prozent Intuition. Es war keine mühsame, logisch aufgebaute Näherung, die es mir erlaubt hat, die wellenförmige Dynamik des Aktienmarktes zu verstehen. Ich war eines Tages mit einem befreundeten Makler an der Börse und riss die Augen auf, als ich die Computeranzeigen und die großen Tafeln und die aufgeschriebenen Zahlen und die Kritzeleien der Leute da unten sah. In diesem Augenblick fiel mir die fraktale Wiederholungsfunktion ein, die ich brauchte. Um die fraktale Dynamik der Wolken auf ähnliche Weise zu verstehen, um das Chaos am Rand der Wolken vorherzusagen, muss ich die Wolken sehen. Alle. Ich muss einen Überblick gewinnen, ein Gefühl für die Dynamik. Einfach nur schauen. Vier Tage werden nicht ausreichen, aber es wird ein Anfang sein.«
    »Sie müssen eine Weile Gott werden«, sagt Roth.
    »Ja«, meint Esterhazy. »Das wird nicht ausreichen, aber es ist ein guter Anfang.«
     
    Ein paar Minuten vor Mitternacht geht Roth allein auf die kalte Veranda, um sein Wodkaglas zu holen. Er sieht wieder den alten Mann über die verschneite Wiese wandern.
    Roth will zur Tür und Vasilisa oder seinen Gastgeber rufen, doch dann zögert er. Die Gäste haben sich im überfüllten Hauptraum um Viktor versammelt und singen in den letzten Minuten vor dem neuen Jahr. Vasilisa ist nirgends zu sehen.
    Roth geht zur Doppeltür – sie funktioniert wie eine gläserne Luftschleuse, um die eisige Kälte draußen
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