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Heinrich Mueller 05 - Mordswein

Heinrich Mueller 05 - Mordswein

Titel: Heinrich Mueller 05 - Mordswein
Autoren: Paul Lascaux
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antwortete Hofer.
    »Und was ist nun meine Aufgabe?«, wollte der Detektiv wissen.
    »Ermitteln Sie unabhängig von der Polizei, meinetwegen in Zusammenarbeit mit diesem Störfahnder, damit Ihnen die wichtigsten Daten zugänglich sind. Aber Sie wissen schon: Ein Hinweis darauf, dass die Todesfälle eher mit persönlichen als mit parteilichen Angelegenheiten in Zusammenhang stehen, würde uns enorm weiterhelfen.«

Freitag, 23.7.2010
    Die Stube war düster und voll unerträglicher Fliegen, welche die gelben Vorhänge schön schwarz punktiert hatten, die Tische ringsum mit Eisen beschlagen, damit die Gäste sich nicht im Schnitzerhandwerk üben möchten wie Buben in der Schule.
    Im ›Löwen‹ herrschten Bedingungen wie kurz nach dem Urknall: Chaos, extreme Hitze, sich verbindende und wieder trennende Elemente, grelles Licht, laute Musik (Eric Burdons ›Ring of Fire‹ in der langen Fassung) und eine brutale Gravitationskraft, die vom Parkettboden ausging und der nicht alle Gäste widerstehen konnten.
    Eigentlich interessiert das ja niemanden, denn der ›Löwen‹ war seit Jahren geschlossen und nun für ein paar Tage wieder hergerichtet worden. Es sollte ein Sommerfest gefeiert werden, wie es der Bielersee noch nie gesehen hatte. Mühselig wurden die Räumlichkeiten auf Vordermann gebracht, sackweise Müll entsorgt, bis ein improvisiertes Dekor angebracht und eine ebensolche Bühne aufgestellt werden konnten. Als Teil der Inszenierung traten die Gäste durch einen Samtvorhang ins Lokal. Je nach der Art des Themenabends konnte die Dekoration schnell angepasst werden. Nackte Badende, auf einen blauen Hintergrund projiziert, weckten bei den männlichen Gästen unberechtigte Hoffnungen. Aber es war auch ›Der letzte Zecher‹ im Programm, und die Männertoiletten erinnerten an das Restaurant ›Zum Frührentner‹.
    Wer sich dorthin begab, fand sich im Pissoir vor einer Schüssel, die bereits 1917 Marcel Duchamps zu Ruhm verholfen hatte, als er sie, verkehrt herum ausgestellt und mit »R. MUTT« signiert, der Welt als Ready-Made verkaufte. Hier und heute erleichtert sich der Bedürftige in einem Bassin, in dem ein engmaschiges weißes Plastikgitter als Zigarettenkippen-und Abfallstopp lag, darin aufgesteckt ein grünes Tor, in dem an einem Plastikfaden ein Ball hin und her schwingt, wenn ihn der Urinstrahl trifft. So etwa darf man sich das gastronomische Potenzial des ›Löwen‹ vorstellen.
    Da wurde zuerst der Sigrist zu red gestellt, warum er in seinem Haus statt und plaz zu dem gottlosen Kilt gegeben? wider die Hochoberkeitliche Ordnung Kirschenwasser ausgewirthet und zwar bis am morgen umb 3 uhr? Ja in seiner Stuben tanzen lassen, in welches Winterzeit ein theil des Gottesdiensts, nemlich die Examina der alten, gehalten werden? Der Sigerist verantwortete sich also: Er habe von diesem Kilt nichts gewusst. Es seyen nach dem nachtesen etliche gute Freünd zu Ihme zum liecht kommen, mit denen habe er und sein haus etliche Psalmen gesungen. Darauf sey eine schaar junger Leuthen nach der anderen mit seinem höchsten unwillen in sein haus gekommen, die ihne genöthiget, ihnen Brennts zu trinken zu geben: Laugne auch nicht, dass getanzt worden seye, von wem aber könne er nicht sagen, weilen er darzumalen nicht in der Tanzstuben gewesen. {4}
    Zum Ambiente gehörte auch eine Gartenanlage mit Reblaube im Mittelgang, zum See hin offen mit weitem Blick über das grünliche Wasser, das bei diesem scheußlichen Wetter nicht zum Baden einlud. Innert einem Tag waren die Verhältnisse gekippt, war der Hitzesommer einem Gewitter-und Bisentag gewichen, der die meisten Gäste ins Lokal hinein trieb. Einzig Nicole Himmel versah vorerst noch den Terrassendienst für die vereinzelten Gäste, die es vorzogen, draußen zu sitzen. Denn Nicole hatte sich zur Verfügung gestellt. Als Ethnologin und mit ihrer Erfahrung aus dem Emmental hatte sie das völkerkundliche Vorwissen für Feldstudien bei den Aborigines. Deshalb hatte sie sich um diesen Aushilfsjob beworben, außerdem hatte sie ja bereits Erfahrung im Gastgewerbe. Trotz dem kühlen Wind war die Luft im Gärtchen fast schlechter als in der Gaststube, weil sich hier die Nikotinabhängigen in beredtem Protest gegen das Rauchverbot in öffentlichen Räumen versammelt hatten.
    Vor Nicole saß eine junge Frau, die artig gefragt hatte, ob noch ein Tisch frei sei, obwohl sie kaum Konkurrenz hatte. Nicole nickte und musterte sie von unten nach oben. Breite, hellbraune Lederschuhe,
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