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Heinichen, Veit - Proteo Laurenti 01 - Gib jedem seinen eigenen Tod

Titel: Heinichen, Veit - Proteo Laurenti 01 - Gib jedem seinen eigenen Tod
Autoren: Veit Heinichen
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durchführen und das Protokoll noch am Vormittag vorbeibringen. Sgubin würde also wieder einmal Überstunden machen, schloß Laurenti. Der Schichtwechsel der Polizeistreifen ist morgens um sechs, und Sgubin war seit gestern Abend zehn Uhr unterwegs.
    Als Proteo Laurenti wieder oben an der Küstenstraße angekommen war, blieb er, restlos außer Atem, stehen, um Luft zu schnappen. Er beugte sich nach vorne und stützte sich mit beiden Händen auf die Knie. Er spürte das Ziehen seiner Beinmuskulatur. Als er sich wieder aufrichtete, bot ihm Greco, der Neue, mit ausdruckslosem Blick eine Zigarette an.
    »Sehr komisch, Greco!« Laurenti lehnte mit einer schroffen Handbewegung ab.
    »Wie weit sind die da unten?« Greco langweilte sich. Zwei Stunden stand er bereits allein oben an der Straße. Um ihn herum ein Kranz ausgetretener Kippen. Der Lack des rechten Kotflügels des vordersten Wagens glänzte und verriet, daß Greco daran lehnte, wenn niemand in der Nähe war.
    »Jetzt sind die Taucher dran«, antwortete Laurenti, »vielleicht finden sie ja eine Leiche. Dann bin ich wenigstens nicht umsonst so früh raus.«
    Kurz vor sieben Uhr bog er an der Kreuzung zum Castello Miramare rechts ab und parkte seinen Wagen nach einigen Metern. Er hatte zwar kein Badezeug dabei, doch um diese Zeit war er an dieser Stelle noch allein. Eine halbe Stunde schwimmen, das wußte er, pendelte seine Seele wieder ein. Laurenti kletterte an den in die Mauer geschlagenen Eisenhaken hinunter zum Wellenbrecher, der als Badeplatz nur Eingeweihten bekannt war, und selbst dann, wenn die gesamte Uferpromenade von Barcola bis Miramare von Menschen überquoll, noch mehr als eine Handtuchbreite Platz ließ. Er zog sich aus, faltete Hemd und Hose ordentlich zusammen, legte sie auf die Steine neben die Schuhe, warf Unterhose und Socken dazu und sprang ins Meer.
    Proteo Laurenti drehte sich nach einer guten Strecke, die er mit voller Kraft geschwommen war, auf den Rücken und ließ sich vom Salzwasser tragen. Er dachte an Laura. Er wollte später nochmals mit ihr über den drohenden Umzug reden. Er wußte, daß es ihr verdammt ernst war, aber er fürchtete Streß, Unannehmlichkeiten, Kosten und die schlechte Laune, die ein solcher Akt vorübergehend mit sich brachte. Ein Umzug der fünfköpfigen Familie war teuer. Vielleicht sollte man einen Teil davon besser in einen Fonds einzahlen, aus dem man, wenn auch die anderen Bewohner des Hauses sich beteiligten, die unter den Ventilatoren litten, Cossutta eine Prämie für den Umzug des Lokals anbieten konnte. Es gab für einen Wirt interessantere Lagen als die Via Diaz in der Nähe des Museums Revoltella. Mit den Witwen Rosetti und De Renzo würde natürlich nicht zu rechnen sein. Und gegen alle Prinzipien verstieß es auch, wenn man denjenigen, der einem Böses tut, im Gegenzug belohnte. Mit Vernunft betrachtet, war es aber für alle Beteiligten billiger und weniger aufreibend. Doch ahnte Laurenti bereits, daß ihm mal wieder keiner folgen würde. Er ärgerte sich, daß er nicht einfach abschalten und den frühen Morgen genießen konnte.
    Mit einem einzigen kraftvollen Zug tauchte er unter und stieß hinab zum Grund, wo das Wasser deutlich kälter war. Laurenti zog lange durch, bis ihm die Luft knapp wurde. Er tauchte langsam wieder auf und sah, daß er es bis hinter die Bojen geschafft hatte, die den Badenden Sicherheit vor Schiffen boten. Dann ließ er sich auf dem Rücken treiben, bis er wieder zu Atem gekommen war. Er sah die Stadt und die ersten Badenden und erinnerte sich plötzlich an die Zeit, als er neu hier war. Damals war die Wasserqualität wie überall an der Adria in einem bedenklichen Zustand und die einzigartige Verbindung der Stadt mit dem Meer war kaum zu genießen, bis zuerst der alte christdemokratische Bürgermeister, von dem man dies gar nicht erwartet hatte, die Abwasserproblematik anging und schließlich sein Nachfolger entschieden durchgriff. Seither wurde mit eisernen Kontrollen darüber gewacht, daß das Meer sauber blieb. Und Laurenti erinnerte sich an seinen ersten Fall.
     
    Proteo Laurenti kam nicht wie üblich schon um halb neun, sondern erst gegen zehn Uhr ins Büro in der Via del Coroneo. Marietta, seine Assistentin, begrüßte ihn wie jeden Morgen mit einem fröhlichen Lächeln. »Guten Morgen, Proteo!« Dann verfinsterte sich ihre Miene, und sie setzte sofort den besorgten Blick auf, den sie grundsätzlich dann annahm, wenn sie sah, daß mit ihrem Chef etwas nicht in Ordnung
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