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Heinichen, Veit - Proteo Laurenti 01 - Gib jedem seinen eigenen Tod

Titel: Heinichen, Veit - Proteo Laurenti 01 - Gib jedem seinen eigenen Tod
Autoren: Veit Heinichen
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umrankt waren. Der Weg schlängelte sich zwischen den wenigen Villen hindurch, die früher hier gebaut werden durften oder schwarz hingestellt worden waren, mit ihrer Aussicht über den Golf von Triest und mit direktem Zugang zum Strand. »Würden wir hier wohnen«, dachte Laurenti, »wär ich in Form. Jeden Morgen diesen Weg und vor der Arbeit eine halbe Stunde schwimmen, bis Mitte Oktober.«
    Nach fünfminütigem Abstieg kam er endlich zu dem steinigen Strand. Noch bevor er aus dem Blätterdach trat und der Geruch des Meeres ihm entgegenschlug, hatte er das ohrenbetäubende Geschrei von Hunderten von Möwen vernommen, die er jetzt übers Meer jagen sah. Ganz in der Nähe mußten sie frische Beute gefunden haben.
    Laurenti wurde von Assistente Capo Sgubin begrüßt. Er hatte sich mit einem Kollegen von der Guardia Costiera unterhalten und mit einem Fischer, der immer wieder mit dem Arm fuchtelnd aufgeregt aufs Meer wies. Laurenti gab allen dreien die Hand.
    »Das ist Giovanni Merlo aus Monfalcone. Ihm gehört die Muschelzucht dort«, sagte Sgubin und zeigte auf das durch unzählige farbige Tonnen markierte Feld, das bis gestern noch mit dem vorgeschriebenen Abstand zum Ufer vertäut gewesen war. Normalerweise war es genauso streng geometrisch verankert wie die Felder zur Linken und zur Rechten. Zehn Fässer breit und zwanzig lang, verbunden mit Tauen, die unter der Wasseroberfläche sich von Tonne zu Tonne zogen und an denen sich die Miesmuscheln fleißig vermehrten. Täglich wurde abgeerntet. Doch an diesem Morgen, das erkannte Laurenti auf den ersten Blick, war alles rettungslos zerstört, eingerissen von der Gewalt des hochmotorisierten Schiffs, die Taue verheddert und die Tonnen in einem wilden Durcheinander aufgehäuft. Die Möwen jagten laut schreiend in Schwärmen darüber hin und stritten um die Beute, die für sie unerwartet aus dem Meer aufgetaucht war. Laurenti war fasziniert von dem gierigen, eifersüchtigen Spiel dieser Tiere, dem er unter anderen Bedingungen lange zuschauen konnte. Es schien, als hätten sie in ihrer unersättlichen Gier auch noch Freude am Mundraub und am Gesetz des Stärkeren.
    »Das ist das Schiff, das meine Muscheln ruiniert hat«, rief Merlo schlecht gelaunt. »Ein unersetzbarer Schaden, ganz abgesehen von der Arbeit, die Zucht wiederaufzubauen. Wer erstattet mir das?«
    Merlo, dachte Laurenti, lebte vermutlich wie viele andere nach dem Prinzip, daß sich um so eher jemand um etwas kümmerte, je lauter und länger man lamentierte. »Kaum zu übersehen«, sagte er. Laurenti kannte diesen Kahn. Es war die größte Motoryacht, die an den Rive lag, am Molo Sartorio, direkt vor dem Stadtzentrum. Er erinnerte sich, wie über das Schiff gesprochen wurde, als es neu war, weil es nicht hierher paßte, in die Stadt, die ihr altes Geld kaum nach außen kehrte, sondern in einer Mischung aus Understatement und Geiz lieber versteckt hielt. Die wirklich großen Schiffe, hieß es, lagen in Istrien – wo die Liegeplätze billiger waren und man sich die italienische Steuer sparte. Weit ist es weder nach Capodistria noch nach Portorose. Diese Yacht paßte einfach nicht in den Sporthafen von Triest, in dem neben den Segelschiffen nur wenige Motorboote lagen. Es war zu groß und zu angeberisch. In Portofino oder an der Côte d'Azur hätte es zu den kleineren Schiffen gehört, hier aber wirkte es riesig. Und dann hieß es auch noch »Elisa«. Laurenti hatte sich oft über die Großkotzigkeit des Besitzers geärgert, den er seit langem kannte. Elisa!
    »Der Österreicher?« Er sah fragend zum Schiff. »Wo ist er?«
    »Wissen wir noch nicht«, der Offizier der Guardia Costiera wies mit einer Kopfbewegung auf zwei Schlauchboote mit Tauchern. »Die Yacht war leer.«
    »Und dafür holt ihr mich aus dem Bett?« Laurenti hob zweifelnd die Augenbrauen.
    »Aber Sie waren doch schon mal mit ihm beschäftigt«, rechtfertigte sich Sgubin, »außerdem sind Ferien …«
    »Ist schon gut«, sagte Laurenti und faßte ihn versöhnlich am Arm, »ich habe sowieso nicht gut geschlafen. Du hast recht, Sgubin: Eine leere Yacht, die auf die Küste aufläuft, ist etwas ungewöhnlich. Hoffen wir, daß es nur ein Unfall war.«
    Nach einer kurzen Lagebesprechung mit den Kollegen machte er sich auf den Rückweg. Die Guardia Costiera würde die »Elisa« in die Capitaneria schleppen und dort untersuchen. Er selbst, so sagte Sgubin, wollte der Villa des Österreichers einen Besuch abstatten, die notwendigen Befragungen
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