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Heinichen, Veit - Proteo Laurenti 01 - Gib jedem seinen eigenen Tod

Titel: Heinichen, Veit - Proteo Laurenti 01 - Gib jedem seinen eigenen Tod
Autoren: Veit Heinichen
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warteten bereits auf das Geld.
    Viktor Drakic nahm die 20.05-Uhr-Maschine der Lauda Air nach Verona. Nach Mitternacht würde er mit dem Zug von Verona in Triest eintreffen. Gleich am Mittwoch morgen sollte er mit den Reedern und den Container-Lieferanten die Verhandlungen über die Ausweitung des Frachtaufkommens für die Hilfslieferungen der Europäischen Union an die Erdbebenopfer in der Türkei aufnehmen. Drakic war sich sicher, daß sie das Gesamtkontingent über Triest abwickeln würden. Die politischen Voraussetzungen nach dem Chaos der Kosovo-Hilfe in Bari waren ausgezeichnet, und Wolferer hatte er spätestens nach der Party in der nächsten Woche ganz in der Hand.

Triest, 17. Juli 1999
    »Wir müssen umziehen!« Lauras Ellbogen traf ihn unsanft in die Rippen. Proteo stöhnte auf und drehte sich zu ihr um. Auch er hatte nicht geschlafen und war nur zwischendurch in einen leichten Schlummer gefallen, aus dem er stets schnell wieder erwachte. Der Lärm war infernalisch.
    »Aber doch nicht heute Nacht, verflucht!« Er faßte mit der linken Hand an die Stelle, wo sie ihn getroffen hatte, und schaute sie erschrocken an. Im Halblicht sah er zuerst Lauras dunkle Pupillen, dann die dunklen Ränder unter ihren Augen, die das Resultat mehrerer fast schlafloser Nächte waren. Laura hatte recht. Der Lärm der Ventilatoren im Hof, mit denen das Lokal im Erdgeschoß sich Frischluft verschaffte, war im Sommer nicht zu ertragen.
    Die Laurentis, und von ihnen vor allem ihr männlicher Haushaltsvorstand, Proteo Laurenti, befanden sich im Dauerstreit mit der Signora Rosetti, Witwe und sechsundsiebzig Jahre alt, und der Signora De Renzo, ebenfalls Witwe, aber zweiundachtzig Jahre alt, seit diese gegen alle vorherigen Abmachungen der Wohnungseigentümer, die in diesem fünfgeschossigen Haus aus der Jahrhundertwende wohnten, mit dem Wirt des Lokals gestimmt hatten. Aus reiner Geldgier, wie Proteo Laurenti unterstellte. Nur zusammen mit den beiden hatte Cossutta die notwendige Mehrheit erreicht, denn die anderen, davon war Laurenti überzeugt, wären nicht umzustimmen gewesen.
    Schon kurz nach der betrüblichen Eigentümerversammlung also, bei der das Erstaunen und der Unmut der anderen Wohnungsbesitzer sich Luft gemacht hatten, begannen die Arbeiten im engen Innenhof des Gebäudes. Zwei riesige Ventilator-Turbinen wurden installiert, die die Nacht mit einem Lärm wie von einem Bataillon Staubsauger erfüllten. Es war noch schlimmer geworden, als Cossutta kurz darauf neben der Trattoria auch noch eine Bar eröffnete und der Betrieb damit bis in die Morgenstunden weiterging. Wie auch immer er sich die Konzession verschafft haben mochte, es war daran nichts mehr zu ändern.
    Proteo Laurenti war fest davon überzeugt, daß die beiden alten Elstern, wie er die Witwen Rosetti und De Renzo bei sich nannte, trotz ihres Wohlstands den Hals nicht voll bekommen konnten und sich mit einem freundlichen Handgeld hatten überzeugen lassen, denn ihr Meinungswechsel kam für alle überraschend. Noch am Tag zuvor hatten sie gegen Cossutta und gegen das »sittenlose Leben der jungen Leute von heute« gegeifert.
    Mit einem Ächzen richtete sich Proteo Laurenti auf und wollte seine Frau in den Arm nehmen. Sie schüttelte ihn ab.
    »Im Herbst suchen wir was«, sagte er, um sie zu beschwichtigen und in der Hoffnung, daß das Thema vergessen wäre, sobald man nachts die Fenster wieder schließen konnte. Der Gedanke an unzählige Wohnungsbesichtigungen, an Maklerprovision und elf Prozent Steuern, an das monotone Verlesen der Akten durch den Notar, der dafür sowie für ein paar Stempel und Steuermarken auch noch Geld verlangte, und die Aussicht auf die Mühen eines neuerlichen Umzugs widerten ihn an. Hatten sie das nicht erst vor einigen Jahren hinter sich gebracht? Und diese Wohnung würden sie unter den gegebenen Umständen wohl nur unter Preis verkaufen oder vermieten können.
    »Man hätte diese alten Vetteln einfach vergiften sollen. Oder ihnen rechtzeitig die Treppe hinunterhelfen …«
    »Man hätte, man hätte …« Laura war nicht mehr gewillt, darüber nachzudenken, was man hätte tun sollen. »Ich gehe morgen früh zu Massotti«, sagte sie kurz angebunden und setzte sich mit einem Ruck kerzengerade im Bett auf. Ihre Pyjamajacke war weit aufgeknöpft, und die dunkelblaue Seide schmiegte sich an ihre gebräunte Haut. Ihr langes, dickes Haar war im Sommer fast blond, nur die untersten Strähnen blieben dunkel. Sie hatte den Kopf zu ihm gedreht und
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