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Heimliche Helden

Heimliche Helden

Titel: Heimliche Helden
Autoren: Ulrike Draesner
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sich flächig auf. Sie verfahren, ich übernehme ein Wort von Gerhard Falkner, polymer: Chemisch bedeutet das »aus vielen gleichen Teilen« verzweigt gebaut. Erst so ergibt sich, im doppelten Sinn, der Geschmack eines Stoffs.
    Im Satz, der Bilder zusammenfügt und der als Form, die selbst wiederum Verkettung verlangt, Bilder in Bewegung setzt, gewinnt Denken Form. Der Satz ist jenes Netz, das ausgeworfen sein muss, nicht, um den Gedanken »einzufangen« – als gäbe es ihn außerhalb des Rhythmus- und Sprachepolymers bereits –, sondern um den löchrigen Raum zu markieren, in dem er Platz finden kann. Auf dass der Gedanke, gedacht in der Satzvariation, im Drehen des »Gegenstandes«, im Immer-neu-Atem-Holen, sich nicht setze, sondern entwickle in uns, den Lesern. An der Hand, am Tisch, beim Wort genommenes Denken, mit Brot für Körper und Geist. Um im Gedicht wach unterm Tisch zu sitzen, im Schatten des Objektes, beschützt und bedroht. Mit fühlenden Gedanken, in der Sicherheit der Wiederholung, liebkost von ihr, wenngleich mit den Forderungen eines anderen im Ohr, voller Sehnsucht nach allem, nach immer mehr. Als Spielball der raffinierten Zusammenstellungszärtlichkeit Falkners, die uns, manchmal mit Schärfe, manchmal verlockend schön, ins Ohr singt von uns selbst und »vom heute geweßenen Tage« 95 :
    und er wird mich fragen werden, ach der …?
    wird mich fragen wollen: ach der … der Ti?
    mit dem Brot oben, dem Gedicht in seinem dunklen,
    gebundenen Laib, das sich herleiert und mit dem
    alles gesagt ist, mehr als alles, ich will von dem Brot
    oben
    mehr als alles, ich will, abends, wenn die Drossel
    verstummt, mehr als alles gehabt haben, es soll
    so tränenlos geweint worden sein wie in einer Zeile
    von Trakl, es soll mich, soll, soll, soll mich, fertig
    fertig gemacht haben, fertig, fertig, es soll mich sagen
    gehört haben: nicht du! Ich kann das Brot anklicken
    und habe deine Brust: (eine Brust für Götter)
    ich kann deine Brust anklicken
    und habe dein Herz … (ein Herz für Götter)
    aber nicht du! Nur das Brot
    ich will nicht mehr gekonnt haben können, will
nach dem Brot, in das ich soviel Gewicht gelegt habe
nicht mehr gekonnt haben können
aber ich ach ich bin bin doch nicht
doch nicht zu haben!
Er hat seine Hände an mir haben wollen aber
ich bin, binbin nicht zu haben
nicht für Brot … und nicht … unter dem Tisch! 96
    Wer hier Echos hört, hört richtig. Falkner arbeitet mit Wirklichkeitsbrüchen, Versatzstücken, Neuwörtern, Fachsprachen, technischen Entwicklungen, er klopft, hämmert, mutiert. Den Satz liebt er doppelt. Baut Stufen, führt uns in einen Raum. Und dann: der Satz als Sprung. Bei Falkner ist er immer beides: Kontinuität und Überraschung, Weiterführung und Bruch.
    Auf der Höhe der Zeit?
    Welch Ausdruck. Muss man nicht unter ihr liegen? Als schwerer Körper, offenen Nervs. Versteckt, kein Gegenstand mehr. Sich auflösend. Begeistert.
    Im Satz wird der Leser vom Satz überrascht, weil sein Autor um Grenzen spielt: wie er uns etwas in Lücken durch Lücken hindurch erzählt, aus Null oder unter Null, als Gegensprechen, also Teil eines mechanisch bedroht-ermöglichten Dialogs, als Verschieben der Sprache im Worterfinden und Verhören, absichtsvoll.
    In der Genauigkeit lächelt die Dichtung. Sie sieht auf jedes Wort. Falkner: »Die Konjunktion ›und‹, mhd. unde , ahd. unte , ist ein Knotenpunkt der gesamten Syntax und ein Wort ohne Synonym. In ›Äpfel und Birnen‹ kann kein anderes Wort die beiden Früchte zusammenzählen, in ›eins und eins‹ ebenfalls nicht. Das ›und‹ ist Exponent fast aller Nebensätze und ist mit der geheimnisvollen Kraft ausgestattet, ›die Andacht zum Unbedeutenden zu wecken‹«. 97
    Jeder Autor entwickelt seine Mittel und Besonderheiten: Sie sind nicht frei gewählt, sondern Schmerzpunkte, Brennstellen, Bündelungen. Sie rutschen mit uns unter den Tisch, bringen unsere Ängste, unser Dennoch, unsere Sehnsucht nach »Mehr« auf den Punkt. Bei Falkner gehört Körperbewegung zu diesen Mitteln, gleitend, halb willkürlich. Und es gehört dazu: das sich selbst in Frage stellende Ich.
    Held und Tier
    Falkner zitiert Novalis und Hegel, taucht in Hölderlin ein. Aber mit Nietzsche. Er korrigiert, schlägt Schlachten. Pechschwarz, gleißend hell. Romantische Konstellationen kehren in seinen Texten immer wieder, zum schönen Schein. Er lebt auf dem Land, er kennt sich mit Tieren aus. Er lebt in der Stadt. Verteilt gehärteten Stoff: polymer.
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