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Heimkehr in Die Rothschildallee

Heimkehr in Die Rothschildallee

Titel: Heimkehr in Die Rothschildallee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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sich.
    »Nur ein einziges Mal, mein Freund. Bei der Erlösung aus der ägyptischen Knechtschaft. Das ist ziemlich lange her. Ansonsten werden wir vom Todesengel bevorzugt bedient.«
    Am Dienstag, den 1. April, kehrte Doktor Friedrich Feuereisen, siebenundvierzig Jahre alt, früh ergraut, früh bekümmert, doch nicht geängstigt und nicht gebeugt, nach zehn Jahren Emigration nach Frankfurt am Main zurück. Es war die Stadt seiner Geburt, die er nie hatte vergessen können und in der die Juden noch bei Hitlers Machtergreifung gewähnt hatten, die Stadt würde sich an die Verdienste ihrer jüdischen Bürger um das Wohl Frankfurts erinnern und nicht zulassen, dass ihnen ein Leid geschehe.
    »Wann fährst du wieder weg?«, fragte Sophie, als sie den ersten grünen Bonbon aus seiner Jackentasche grub.
    »Gar nicht, mein Fräulein.«
    »Das ist gut. Das hab ich mir gewünscht.«
    In den Jahren der Todesangst und erst recht, als der Tod von Victoria, Salo und seiner Mutter im Konzentrationslager Gewissheit wurde, hatte Fritz an Gott zweifeln wollen. Jedoch war es ihm nicht gelungen. Die Ehrfurcht vor dem, was er im Elternhaus gelernt hatte, die Tradition und das Gedächtnis an die Toten, gaben ihn nicht frei. An seinem ersten Freitag in Frankfurt zog er sich für die Synagoge an.
    »Betsy hat mir gesagt, dass sie im Baumweg ist«, berichtete er Fanny.
    »Da war vor Hitler ein jüdischer Kindergarten. Ich wollte immer, dass ihr hingeht, aber es kam nicht dazu. Jetzt gehe ich halt hin. Bei uns war es üblich, Gott zu danken, wenn er einem Gutes erwies.
    Ich will ihm für meine Richterstelle danken, und dass ich endlich mit meiner Tochter unter einem Dach wohnen darf.«
    »Ich komme mit«, entschied Fanny. »Ich danke ihm auch für deine Richterstelle und dass wir zusammen sind. Oder meinst du, Gott mag keine Leute, die nachplappern, was kluge Leute sagen, und in seinem Haus mit einer neuen Bluse angeben?«
    »Dich mag er auf alle Fälle. Und mich wohl auch. Das hat er bewiesen, auch wenn er sich für meinen Geschmack ein bisschen viel Zeit gelassen hat.«
    Unmittelbar nach dem Segensspruch für den Wein ließ ihm der, den er nicht zu verlassen vermochte, die Botschaft vom Neubeginn des Lebens zukommen. In der Synagoge stand Fritz neben einem Mann in seinem Alter, der ihn sehr freundlich grüßte und bald ins Erzählen kam. Er hatte Auschwitz überlebt, seine Frau und seine drei Kinder waren in Bergen-Belsen ermordet worden. Von seinem Schicksal – auch vom Tod seiner beiden Brüder und der Mutter – berichtete der Mann mit ruhiger Stimme und in einem sachlichen Ton, der Fritz tief bewegte. Während er sprach, schaute sein Nachbar immer wieder zu den Frauen hin, die auf der anderen Seite der kleinen Betstube saßen. »Meine Frau«, sagte er, »kann nicht mehr mit den anderen aufstehen. Sie ist im sechsten Monat, und das Stehen fällt ihr schwer.«
    Er wartete einen Moment, denn er wusste, was Fritz dachte und dass er auch Zeit brauchte, um nicht zu zeigen, was er dachte. »Ich rede von meiner zweiten Frau«, fuhr er fort. »Die da neben dem jungen Mädchen in der gestreiften Bluse. Meine Frau ist auch im Lager gewesen. In Ravensburg. Wir haben im Juni 1945 in einem Zwischenlager in Zeilsheim geheiratet. Da haben sie uns hingebracht. Im März 1946 ist unser Sohn geboren.«
    »Dass Sie das gewagt haben! Ich könnte das nicht.«
    »Der Allmächtige hat gewagt. Ich wollte ihm nicht dazwischenreden.«
    Am 15. April, einem Dienstag mit schon sommerlicher Wärme, wurde Doktor Friedrich Feuereisen als beauftragter Richter vereidigt. Es war allerdings den Frankfurter Justizbehörden nicht möglich gewesen, was sie in einem persönlichen Gespräch beeindruckend bedauerten, dem aus der Emigration zurückgekehrten Richter die zugesagte Dreizimmerwohnung zu beschaffen. Der Beamte, der ihm dies mitzuteilen hatte, sagte vergrämt und mit bedeutungsvollem Flüstern, dies sei typisch für die Zeit. »Wer nichts zu schmieren hat, den beißen die Hunde. Das werden Sie auch noch erleben, Herr Doktor Feuereisen. Deutschland ist nicht mehr, was es war.«
    Der Vertrauensselige begleitete Fritz zum Grundbuchamt, auf dem er überprüfen wollte, ob das Haus Rothschildallee 9 tatsächlich Herrn Baldur Ehrlich gehörte. Dem neu vereidigten Richter, von dem am Gericht sich die Leute schon seit Tagen zuraunten, er sei ein Jude, bot er eine Tasse Muckefuck aus seiner Thermosflasche an. Fritz revanchierte sich mit einer Chesterfield aus dem PX in Nürnberg.

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