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Heimkehr

Heimkehr

Titel: Heimkehr
Autoren: Richard Bach
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zusammen durchgebrannt?«
    »Eine gute Frage.«
    »Wenn ich über etwas nicht hinwegkäme, Richard, würde ich mich sicherlich nicht umbringen. Aber ich würde einige ziemlich drastische Sachen machen.«
    »Zum Beispiel?« Was hatte ich schon als drastisch angesehen, als ich neun Jahre alt war?
    »Ich würde mein Pfadfindermesser und Streichhölzer einpacken, etwas zu essen mitnehmen und mit dem Mädchen in die Berge radeln.«
    Mir fiel meine letzte verzweifelte Flucht ein, die ich vor langer Zeit in die bergige Wildnis, die von meiner Heimatstadt aus undeutlich am Horizont zu sehen war, unternommen hatte. Ich wartete auf weitere Beispiele.
    »Wenn ich autofahren könnte, würde ich mit ihr nach Montana fahren. Oder wir würden auf einem Frachter nach Neuseeland schippern.«
    Natürlich war Flucht sein erster Gedanke. Wenn heute bei mir etwas Drastisches angebracht wäre, würde ich mich auch dazu entschließen zu fliehen.
    »Ich würde mit ihren Eltern reden,« fuhr er fort, »ihnen versprechen, ihnen bis an ihr Lebensende den Rasen zu mähen, ihnen meine hervorragenden Zeugnisse zeigen und fünfzig Freunde mobilisieren, die ihnen erzählen, daß ich ein wirklich netter Bursche bin.«
    Ich nickte.
    »Du lieber Gott, sie ist doch nicht das Eigentum ihrer Eltern, oder?«
    »Niemals,« sagte ich, »nicht für eine Sekunde, das ist meine Auffassung, aber sie waren wahrscheinlich anderer Meinung.«
    »Soll sie doch fortziehen«, sagte er. »Ich würde ihr, wo auch immer sie wäre, Briefe schreiben, bis ich alt genug wäre, das Mädchen zu kriegen.«
    »Das könnte klappen.«
    »Ich würde arbeiten und ihr Geld schicken, damit sie mich anruft, wann immer sie will. Wir würden am Telefon Pläne schmieden und wieder zueinander finden.«
    Ich wartete.
    »Geduld. Früher oder später würden wir auf eigenen Füßen stehen, ohne die Eltern zurechtkommen, und niemand könnte uns daran hindern, zusammenzusein.«
    Binnen fünf Minuten hatte der Junge fünf Pläne als Alternative zum Selbstmord ersonnen, einen Plan pro Minute, um den Eltern des Mädchens wirksam Widerstand zu leisten. Hätte mein junger Leser, so dachte ich, binnen eines Tages nicht das gleiche tun können?
    Hätte das arme Kind an einem durchgescheuerten Strick über einem See voller Alligatoren gebaumelt, hätte selbst ich zugegeben, daß die Zahl der Alternativen zusammengeschrumpft war, aber selbst dann ist der Tod noch nicht unvermeidlich. Ich bin des öfteren in Florida mit Alligatoren zusammen im Wasser gewesen; sie sind überhaupt keine Menschenfresser. Selbst wenn sie es wären, ist es wie jedes andere kurze Bad in einem See — falls sie nicht gerade hungrig sind oder man sie beim Meditieren stört, während man an ihnen vorbeitreibt.
    Mit Schwung warf ich das kleine Flugzeug in die Luft. Es stieg hoch, flog dann in gleicher Höhe weiter, segelte über den Berg hinweg und war nicht mehr zu sehen.
    Sterben ist ein Statement, das nur einmal im Leben abgegeben werden kann, dachte ich und wünschte, daß mein leichtfertiger Leser hier bei Dickie und mir wäre. Begeht man im Alter von sechzehn Jahren Selbstmord, erweist man sich als nicht tauglich, das Spiel zu gewinnen, dessentwegen wir hierher gekommen sind.
    Um Mißverständnissen vorzubeugen, sagte ich in Gedanken zu ihm: Wenn du dich, um deinen Selbstmord zu rechtfertigen, auf mein Buch berufen willst, benötigst du, bevor du es tust, meine schriftliche Zustimmung, und zwar in Form eines Einschreibens. Mißachtest du das, werde ich mich zu Tode ärgern, weil irgendein Leser meines Buches vergessen hat, daß die Raumzeit unser Sport ist und sich vor einer Welt der Spiegel so tief verbeugt hat.
    Ich schwieg eine Weile. Während ich über seine Entscheidung nachdachte.
    »Wie würdest du das finden, Dickie? Du bringst dich um, indem du dein Auto zuschanden fährst, du verläßt den völlig zerquetschten Körper, der hinter dem Lenkrad zusammengesunken ist, und dann besinnst du dich: O nein! Wir hätten nach Auckland abhauen können! War ich ein Esel, oder was?«
    »Zu spät«, sagte er. »Deiner Meinung nach muß ich mich wieder hinten anstellen, ich muß wieder als Baby geboren werden, das noch viel hilfloser ist als der Teenager, ich müßte noch einmal von vorn anfangen und zählen lernen, in den Kindergarten gehen und das machen, was die Erwachsenen sagen, weil ich klein bin und sie groß sind…«
    Wir müssen uns nicht wieder hinten anstellen, dachte ich. Wir müssen überhaupt nichts tun. Wir
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