Heilige Scheiße - Bonner, S: Heilige Scheiße: Wären wir ohne Religion wirklich besser dran?
werden. So verehrt die »Iglesia Maradoniana« zum Beispiel den argentinischen Superstar Diego Armando Maradona, »die Hand Gottes«. D10S wird er weltweit von seinen Anhängern genannt, eine Mischung aus dem spanischen Wort Dios (Gott) und seiner Rückennummer zehn. Höchster Feiertag ist Maradonas Geburtstag, auf dem übrigens auch die gemeindeinterne Zeitrechnung basiert. Als Heilige Schrift dient die Autobiografie des Weltmeisters. Auszug aus den zehn Geboten: »Erkläre deine bedingungslose Liebe zu Diego und gutem Fußball. Trage Diego als zweiten Namen und benenne auch deinen Sohn nach ihm.« Ähnlich kultische Verehrung kennt man nur von Elvis-Fans, denen ihr verstorbenes Idol auch schon mal gerne in einer Erscheinung gegenübertritt und denen Hackfleischbuletten und Bananenpudding nach den kulinarischen Vorlieben des King als heilig gelten. Das Graceland, also die Kultstätte der Fußballgötter ist das Stadion, die Fan-Schals zollen ihnen Respekt, der Kirchenchoral ist das vielstimmige Grölen der Vereinshymne. »Der Fußball kann eine ernsthafte Konkurrenz sein zur Religion«, sagt auch Theologe Hans Küng, und der britische Literaturtheoretiker Terry Eagleton schrieb über die Pseudoreligion Foppes: »Wenn man fragt, woraus heutzutage zahlreiche Männer ihren Lebenssinn beziehen, gäbe es sicher schlechtere Antworten als ›Fußball‹. Sport, das sind Stammesloyalitäten und Rivalitäten, symbolische Rituale, sagenhafte Legenden, zu Ikonen gewordene Helden, epische Kämpfe, ästhetische Schönheit, körperliche Erfüllung, intellektuelle Befriedigung, erhabenes Schauspiel und ein tiefes Zugehörigkeitsgefühl.« So ereilt uns beim Publicviewing das »Schland-Gefühl«, und in der Südkurve singt jeder beherzter als in der Sonntagsmesse. Kein Wunder, dass selbst eingefleischten Journalisten der Fußball so tief im Hirn steckt, dass für christliches Basiswissen kein Platz mehr ist. Im Hamburger Abendblatt war daher über eine Zeitschriftenausgabe des Neuen Testaments zu lesen, man finde darin die »vier Evangelien (Lothar, Markus, Lukas, Johannes)«.
»Der Fußball ist einer der am weitesten verbreiteten religiösen Aberglauben unserer Zeit. Er ist heute das wirkliche Opium des Volkes.«
Umberto Eco
Auch andere Großevents sind für uns mit festen Ritualen verbunden. Zum Eurovision Song Contest verabreden wir uns in kleinen Gemeinden vor dem Fernseher und reichen Guildo-Horn-Gedächtnis-Nussecken, zur Formel 1 gehören Devotionalien wie die Ferrarifahne oder das Käppi mit Schumi-Autogramm, und beim Rockkonzert geben wir uns in uniformen Band-T-Shirts der Massenhypnose hin.
Wir sind eine anspruchsvolle Gemeinde und blättern gern Geld auf den Tisch – für das Live-Konzert genauso wie für unseren Heimaltar, das Fernsehen. Die Mutter aller rituellen Serien ist der gute alte Tatort – wie das Wort gehört auch der Mord zum Sonntag. Für manchen ersetzt die Lieblingsfernsehserie bei der Suche nach dem Lebenssinn die Pannenhilfe, die sonst traditionelle Religionen anbieten. So hat zum Beispiel Klingone Tobias seine Weltanschauung der Serie Star Trek entlehnt, die zwar nicht vor zweitausend, aber schon vor etlichen Jahren erfunden wurde. Der Serie ist schon des Häufigeren vorgeworfen worden, ihre Fans würden daraus einen Kult machen. Sollte das so sein, dann käme uns das auch nicht abstruser vor als die Theorien von L. Ron Hubbard.
Wir treffen Tobias in Bonn auf der FedCon, Europas größter Science-Fiction-Messe und Treffpunkt für Tausende Trekkies. Tobias trägt einen dichten Bart und eine lange Mähne, die von für Klingonen typischen Verknöcherungen auf der Stirn zerteilt wird, welche seine Stirn wie das alpine Vorgebirge aussehen lassen. In seinem richtigen Leben arbeitet er als Webdesigner in Düsseldorf. Star Trek hat er zum ersten Mal gesehen, als er zehn war, seitdem ist er süchtig – oder sollte man besser sagen: gläubig? »Die Weltsicht der ganzen Serie hat mich zutiefst geprägt«, sagt er. Der Raumschiff-Enterprise-Erfinder Gene Roddenberry war ein leidenschaftlicher Befürworter der gleichen Rechte für alle Menschen. Diese Philosophie zieht sich als roter Faden durch das gesamte Star-Trek -Universum: Im 24. Jahrhundert sind die großen Probleme unserer heutigen Zeit überwunden, die Menschheit versteht sich als globale Einheit, es gibt keine soziale Ungerechtigkeit mehr, keinen Hunger, keine Armut, keinen Krieg. Bei der Besiedlung des Weltalls streben die Menschen eine
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