Heilige Scheiße - Bonner, S: Heilige Scheiße: Wären wir ohne Religion wirklich besser dran?
friedliche Koexistenz mit anderen Wesen an. So viel Softietum hat selbst die Bibel nicht zu bieten.
»Vieles, was da in den Star-Trek -Serien gelebt wird, würde unserer heutigen Welt weiterhelfen und etliche Probleme lösen«, meint Tobias. Die Serie hat sogar eine Perspektive für das Leben nach dem Tod parat. »Nach dem Tod kommt nichts mehr, glaube ich«, sagt Tobias. »Das ist auch gut so. Denn umso kostbarer wird unser Leben im Diesseits.« Er verweist auf weise Worte von Enterprise-Captain Jean-Luc Picard: »Was wir hinterlassen, ist nicht so wichtig wie die Art, wie wir gelebt haben. Denn letztlich sind wir alle nur sterblich.«
»Another one bites the dust
Hey I’m gonna get you, too,
Another one bites the dust.«
Queen
Zu dieser Erkenntnis über eines der letzten großen Tabus kann man offen gestanden auch ohne Star Trek kommen. Allerdings mag heute kaum einer darüber nachdenken: Den Tod hat unsere vom Jugendwahn geprägte Gesellschaft aus dem Alltag verbannt – man trifft ihn nur noch in verborgenen Winkeln wie in Altenheimen, Krankenhäusern und Sterbehospizen an. Eigentlich blöd, denn auch für diejenigen, die nicht an Götter und Propheten glauben und ihr Lebensglück lieber in einer der Ersatzreligionen suchen, kommt eines Tages das große Game-Over-Schild. Eine ganz neue Branche will den Tod komplett abschaffen. Ihre weltliche Alternative zum Nachleben ist die Kryogenetik, die uns verspricht, dass uns eines Tages vielleicht eine Fortsetzung des Lebens winkt, wenn wir uns wie Tiefkühlerbsen einfrieren lassen und später einmal wiederbelebt werden. Da noch nicht raus ist, ob die Wissenschaft der Zukunft das jemals können wird, ist dies eine ähnlich ungewisse Lösung wie der Himmelfahrtstrick in der Bibel.
Sobald wir uns mit dem Tod auseinandersetzen müssen, zeigen neue Beerdigungsrituale unser postmodernes Verständnis vom Abnippeln: Wie im Leben, so soll es auch danach möglichst spielerisch weitergehen. Im Begräbnisshop um die Ecke stehen deswegen stylische Urnen für die Latte-Macchiato-Gesellschaft, als Erdbeere getarnt oder mit einer kleinen Leuchtstoffröhre in Form des Wortes »Karma« auf dem Deckel. Unserer Naturliebe tun wir Genüge, indem wir uns im Friedwald verbuddeln oder auf See verklappen lassen.
Egal wie wir unsere sterblichen Überreste verpacken und entsorgen lassen – die gloriose Idee von einem ewigen Leben im Himmel, bei dem man alle alten Verwandten und Bekannten wiedertrifft, ist natürlich immer noch unerreicht. Es sei denn, Sie können sich vorstellen, statt auf der himmlischen Wolke in der virtuellen Cloud weiterzuexistieren. Trauer.de oder Stayalive – Portal für digitale Unsterblichkeit sind virtuelle Friedhöfe, letzteren hat Focus -Chefredakteur Helmut Markwort gegründet. »Bleiben Sie mit Verstorbenen in Verbindung«, wird auf der Website geworben. »Setzen Sie Ihr eigenes Denkmal.« Die Seite ist eine Gedenkseite für Tote, auf der man Fotos, Erinnerungen, Lieblingsrezepte und Botschaften für die Nachwelt hinterlassen kann. Die digitale Grabstätte kann man sich schon zu Lebzeiten einrichten. Als tot wird man dann registriert, wenn man nicht mehr auf SMS reagiert. Und dann heißt es weiterleben, denn das Netz vergisst uns nie – wenn wir das nicht wollen.
Für alle, die lieber ganz ausgelöscht werden möchten: In den USA gibt es bereits Menschen, die ihre Dienste als digitaler Bestatter anbieten und unsere Spuren im Netz tilgen. Was für Unsinn Sie dann auch immer bei Facebook, StudiVZ und Myspace verzapft haben, Sie werden beim Eintritt in die Ewigkeit geläutert.
»Es hat Antworten auf alle Fragen, es beschäftigt eine Heerschar ehrenamtlicher Jünger, und es verspricht das ewige Leben: Das Internet ist Gott.«
Philip Bethge, Kulturspiegel
Viele dieser Ersatzreligionen sind natürlich Unsinn, andere übertünchen die Suche nach dem Sinn bloß – das haben Sie sich sicher auch schon gedacht. Natürlich kann man einzelne Merkmale religiöser Bewegungen auch an Gegenwartsphänomenen entdecken. Konsum- und Karrierereligion, Filme, Stars und Kryotechnologie haben allerdings den Schönheitsfehler, dass die großen und kleinen Glücksmomente im Shoppingrausch oder beim nächsten Karrieresprung nur diejenigen erleben können, die Glück und Talent mitbringen, eine gute Schulbildung genossen haben oder sich von Hugh Hefner scheiden lassen. Denn wer kein Geld hat, um sich schöne Dinge zu kaufen, oder wer den Überstundenwettbewerb einfach nicht
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