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Heidi und die Monster

Titel: Heidi und die Monster
Autoren: Peter H. Johanna;Geißen Spyri
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Menschsein.
    »War sowieso ein Drecksleben«, sagte er. »Jeden Morgen im Dunklen aufstehen, die Hitze der Backstube, dazu ein untreues Weib.« Er kam auf die Beine und fühlte sich trotz seiner Körperfülle leicht wie noch nie. An ihm vollzog sich, was manchmal bei der Verwandlung eines Menschen zum Untoten eintritt: Besitzt ein Menschenkind von Natur aus einen lebensverachtenden Kern, hat das Blut des Vampirs es leichter, sich des Gebissenen zu bemächtigen. Das missgünstige Wesen des Bäckers bewirkte, dass der Austausch mühelos stattfand.

    Mit dem lichten Wesen Heidis war es anders. Sein Kindsein, seine Reinheit, auch der bedingunglose Glaube an die Kräfte des Tages führten dazu, dass in Heidi ein Kampf tobte, der dem Kind schlimme Qualen abverlangte. Als nämlich die
Mitternacht näher rückte und in der Almhütte alle schliefen, fuhr Heidi aus dem Schlummer hoch. Es war bleich wie das Hemd, das es trug, das Haar stand ihm zu Berge. Es streckte die Arme aus und flüsterte: »Ich folge dir!«
    Auch Heidi war vom Blut des Dämons befallen; dessen schwarzes Blut brandete gegen Heidis helles an. Durch die Schwächung weiblicher Personen bei Vollmond begann das schwarze Blut allmählich die Oberhand zu gewinnen. Der verunreinigte Teil Heidis sehnte sich nach dem Dämon, der niemand anderes war als der Professor.
    Heidi stand auf. Seine kleinen Füße tappten durch das Heu, es stieg über die schlafende Tinette und strebte auf die Luke zu. Stand davor und schaute hinaus - wie unsagbar schön das war! Der blauweiße Mond verströmte magische Helle, Berg und Matten waren darein getaucht. Heidi kam es vor, als ob die Welt sich umgestülpt hätte; nie war ihm eine Nacht prachtvoller erschienen. Es wollte hinaus und hinan, darum zögerte es nicht, aus der Luke zu klettern. Barfuß tappte es auf das schindelgedeckte Dach und schritt eine Sekunde später mit ausgestreckten Armen auf dem First der Hütte dahin.
    »Ich komme!, komme dir entgegen«, seufzte es dem Dämon zu, und ein unseliges Lächeln verzerrte seine Züge.
    In der Stube vernahm der Großvater ein Geräusch. Zuweilen wurde das Haus von nächtlichem Getier heimgesucht. Der Marder tollte im Gebälk, der Fuchs strich um den Hühnerstall, Dachs und Wühlmaus waren dem Öhi untergekommen, ein Lärm wie dieser noch nie. Schritte auf der obersten Dachlinie, kleine tappende Schritte.
    »Heidi!« Der Alte fuhr hoch. »Nein, Heidi, nein.« Er schob Rosamunds Gebein beiseite und sprang aus dem Bett. Im
bloßen Hemd rannte der Öhi zur Tür, musste sie entriegeln, stürzte ins Freie und um den Holzschuppen herum. Als er die Giebelfront erreichte, prallte er mit einem anderen Nachtgespenst zusammen, dem Geißenpeter. Auch er hatte das Laufen auf dem Dach gehört und eilte zu Hilfe.
    Die beiden kamen keine Sekunde zu früh. Hoch über ihnen, am äußersten Rand des Firstes, stand Heidi im monddurchschienenen Hemd. Es reckte die Ärmchen zu der abschüssigen Wiese hin, von wo es den Dämon kommen spürte.
    »Heidi!«, rief Peter.
    Zu spät presste der Öhi ihm die Hand auf den Mund. Der Alte wusste, dass man Nachtwandler, verunreinigt oder nicht, niemals ansprechen durfte. Peters Schrei tat seine gefährliche Wirkung: Heidi erwachte zu vollem Bewusstsein. Hatte das schwarze Blut es bis jetzt davor bewahrt, ängstlich in den Abgrund zu schauen, erkannte das Mädchen mit eins, dass es rundum von Tiefe umgeben war. Es schwankte vor und zurück, ruderte mit den Armen, mit einem Schrei stürzte das Kind vom Dach.
    Zwei Freunde, vier Arme, ihr beherzter Zugriff rettete Heidi das Leben. Peter und der Öhi fingen das Mädchen auf; sofort riss der Großvater es in seine Arme.
    »Heidi, Heidi, verzeih mir, dass ich nicht besser achtgab!« Er drückte das Kleine so fest, dass Heidi ächzte.
    »Was war denn los, Großvater? Ich weiß gar nicht, wie ich aufs Dach gekommen bin.«
    Während der Alte Heidi untersuchte, ob es sich wirklich nichts getan hatte, schlug vom Dörfli die Kirchturmglocke. Peter zählte furchtsam mit. »Zehn, elf … Mitternacht«, flüsterte er.

    »Genug geschlafen«, antwortete der Großvater mit grimmem Mut. »Zeit, aufzustehen und zu kämpfen.« Er setzte sein Enkelkind sacht auf die Wiese und warf einen Blick hinunter, weit hinter die Barrikaden. »Sie kommen«, sagte er. »Es sind viele. Grausig wogen sie die Matten hoch.« Ergriffen fuhr er sich durchs Haar.
    Peter und Heidi waren zu ihm getreten. »So viele«, murmelte der Bub. »Mehr als all meine
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