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Heidi und andere klassische Kindergeschichten

Heidi und andere klassische Kindergeschichten

Titel: Heidi und andere klassische Kindergeschichten
Autoren: Johanna Spyri
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Kinder. Dann faßte sie die beiden ineinandergelegten Hände in die ihrigen und sagte schluchzend: »Ja, Nora, ich weiß es, du hast das Kind lieb gehabt, ich will es nicht mehr von mir lassen.« Und die gute Klarissa weinte mit, aber es waren helle Freudentränen, die sie weinte, und einmal die Nora und einmal das Elsli streichelnd, wiederholte sie zärtlich: »Ja ja, wir müssen wieder ein Kindlein haben, für das wir sorgen und es lieb haben können.«
    Wie im Traum ging das Elsli nach Hause. Es hatte verstanden und wieder nicht verstanden, was mit ihm werden sollte. Es hatte fest geglaubt, die Nora helfe dazu, daß es bald in den Himmel gerufen werde, dann komme sie ihm entgegen. Jetzt war es so, als wäre sie schon gekommen, aber um es anderswohin zu führen.
    Nora war mitten unter Blumen in ihr letztes Bettlein hineingelegt worden, in dem sie die Reise nach Hause machen sollte. Das hatte alles die treue Klarissa besorgt. Nun machte sie sich auf den Weg, um Elslis Mutter aufzusuchen, mit der sie eine eingehende Besprechung vorhatte. Diese dauerte indessen nicht so sehr lange und bot nicht so viele Schwierigkeiten, wie Klarissa befürchtet hatte, denn sie fand bei der Marget ein sehr geneigtes Ohr für ihre Vorschläge, besonders als diese vernahm, daß Frau Stanhope nicht nur im Sinn habe, das Elsli ganz und gar zu sich zu nehmen und für immer für das Kind zu sorgen, sondern daß sie auch der Eltern eingedenk sein wolle, indem sie ihnen die Hilfe, die das Kind ihnen hätte leisten können, auf andere Weise ersetzen wollte. Die Marget hatte eine unverhehlte Freude an diesem unerwarteten Glück für das Elsli und an dem Gewinn, den es ihr selbst bot. Sie meinte, das Elsli habe zum strengen Arbeiten doch keine Kraft und Gesundheit, und seit dem langen Umgang mit der Nora sei es auch sonst so mit allen Gedanken und der ganzen Art aus seinem Geleise geraten, daß es gar nicht mehr hineinkomme. Das merke man am besten am Tun der kleinen Buben und besonders des kleinsten, der jetzt den ganzen Tag überlaut schreie, daß man fast das Gehör verliere, und früher habe es ihn doch noch zum Schweigen gebracht: da nehme man ebensogut wieder die Wiege zur Hand. So schieden die Marget und die Klarissa in großem Frieden und Übereinstimmung, und die letztere versprach, daß womöglich jedes Jahr einmal das Elsli nach seiner Heimat zurückgeführt werden solle.
    In der kürzesten Zeit war im ganzen Dorfe die Nachricht verbreitet, daß das Elsli von der reichen Frau Stanhope angenommen worden sei und mit ihr schon morgen nach ihrem schönen Gut am Rhein verreise. Die Nachricht brachte einen ungeheuren Eindruck hervor. Wo zwei einander antrafen auf dem Wege, standen sie still, um das Glück zu besprechen, das so unerwartet dem Elsli zuteil wurde. Die Kinder in der Schule konnten vor Aufregung gar nicht mehr still sitzen, es war, als erwarteten sie alle durch diesen Glücksfall irgend etwas Unerhörtes. Sogar Herr Bickel wurde durch das Ereignis zu einem ungewöhnlichen Schritt veranlaßt. Er nahm seinen Stock zur Hand und sagte: »Frau, es schickt sich, daß wir jetzt der Frau Stanhope einen Besuch machen und ihr zeigen, daß das Kind denn doch auch noch rechte Verwandte hat. Vielleicht braucht sie auch einen Rat, das Kind betreffend; da bin ich ihr Mann. Es kann auch sein, Frau, daß wir einen Besuch bei den Verwandten machen, wenn sie dann daheim sind – denn es gibt dort in ihrer Gegend große Spinnereien –, und vielleicht hat die Frau Stanhope Beziehungen mit solchen Häusern, da wäre denn etwas für das Geschäft zu machen.« Aber Herr Bickel mußte noch einmal seinen Stock hinstellen, denn so schnell war seine Frau nicht in dem Zustande der Vervollkommnung angelangt, in dem allein sie einen solchen Besuch unternahm.
    Die größte Aufregung und Freude über das Ereignis herrschte aber im Hause des Arztes. Mutter und Tante waren voller Lob und Dank, daß das zarte Kind in so freundliche Hände kommen und es ihm auf einmal so gut gehen sollte. Es lag ja nun ein ganz neues Leben vor ihm; was konnte nun auch aus dem bildsamen Kinde gemacht werden! Sie mußten immer wieder davon sprechen. Die Kinder hatten gar keinen anderen Gedanken mehr.
    Oskar ging den ganzen Tag in tiefem Sinnen umher; er suchte den Punkt auf, von wo aus er das neue Ereignis für seine Pläne verwerten könnte. Es lag dem Oskar fortwährend schwer auf dem Gemüt, daß die schöne brodierte Fahne unbenutzt liegen bleiben und nicht irgendein Fest in
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