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Hector fängt ein neues Leben an: Roman (Hector Abenteuer) (German Edition)

Hector fängt ein neues Leben an: Roman (Hector Abenteuer) (German Edition)

Titel: Hector fängt ein neues Leben an: Roman (Hector Abenteuer) (German Edition)
Autoren: François Lelord
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vor einer großen Grabstele inne, auf der in mehreren Spalten Hunderte von Namen eingraviert waren. Den in den Jahren 1914   –   1918 für Frankreich gefallenen Schriftstellern , las Hector.
    »Das ist mal wieder wunderbar französisch«, meinte der alte François. »Man rechnet die fürs Vaterland gestorbenen Schriftsteller auf, als wollte man nur ja keinen vergessen, und dabei sind die meisten von ihnen vollkommen unbekannt. Beachten Sie, dass es keine Gedenksteine für die gefallenen Musiker, Maler oder Bildhauer gibt – und dabei waren auch die unter den Opfern. Wissen Sie übrigens, was einer der Gründe für den Erfolg des Art-déco-Stils in der Wohnhausarchitektur war?«
    »Keine Ahnung.«
    »Dass auch die Bauplastiker und Stuckateure scharenweise auf dem Schlachtfeld geblieben sind. So gab es nach dem Krieg einen Fachkräftemangel, und der Preis für ihre Künste schoss in die Höhe. Ein Stil mit nüchternen, schmuckarmen Fassaden kam also wie gerufen, wenn ich das so sagen darf … Und was die Anhimmelung der Schriftsteller betrifft, so erklärt sie auch unsere wiederholten militärischen Niederlagen.«
    »Wie bitte? Unsere Liebe zu den Schriftstellern soll …«
    »Ja, genau. Wie Sie wissen, ernannte Napoleon jene Männer zu Generälen, die ihn auf dem Schlachtfeld am meisten überzeugt hatten. Später aber wurden zu große Teile unserer Militäreliten danach ausgewählt, ob sie schöne Aufsätze schreiben konnten!«
    Man spürte, dass der alte François sich noch immer darüber ärgerte. Hector wusste, dass sein Freund in sehr jungen Jahren im Krieg gewesen war, wenngleich er nie darüber sprach.
    Sie gingen ein paar Schritte weiter.
    »Ah, das hier ist ein Denkmal, vor dem ich niemals ironische Kommentare machen werde. Hier empfinde ich den tiefsten Respekt.«
    Sie waren vor einem Gedenkstein stehen geblieben, der von zwei Figuren überragt wurde, jungen Frauen, die aber wahrscheinlich schon Witwen waren. Hector las die in den Stein gravierten Buchstaben: Den unbekannten Helden und unbeachteten Märtyrern, die für Frankreich gestorben sind .
    »Den unbeachteten Märtyrern«, sagte der alte François mit brüchiger Stimme. »Ich kann diese Worte nicht lesen, ohne tief ergriffen zu sein.«
    Dann verstummte er, und Hector hatte den Eindruck, dass sein Kollege plötzlich so alt aussah, wie er wirklich war, selbst wenn ihm noch ein Rest von der Jugendlichkeit der letzten Wochen geblieben war.
    »Es hat so viele gegeben, lieber Freund, so viele … Unsere Welt ist geradezu auf den Knochen unbeachteter Märtyrer errichtet worden, deren Opfertod uns für immer verborgen bleiben wird. Und es gab auch viele Frauen unter ihnen …«
    Hector spürte, dass der alte François von Erinnerungen überwältigt wurde, die für ihn noch sehr lebendig sein mussten. Er hoffte, dass sein alter Freund sich ihm eines Tages offenbaren würde.
    »Na schön, ich sehe, dass draußen wieder die Sonne scheint. Das sollten wir ausnutzen … Mehr Licht , wie eine andere Berühmtheit gesagt hat. Denken Sie sich nur: Als man aus dieser Kirche einen republikanischen Tempel machen wollte, hatte der neue Architekt nichts Eiligeres zu tun, als die Fenster zu verdunkeln – so als wollte er eine riesige Krypta schaffen. Zum Glück sind wenigstens die Obergadenfenster geblieben. Den Besuch der eigentlichen Krypta kann ich nicht empfehlen. Was für eine Idee, die Gräber unserer Nationalhelden in einen finsteren Keller zu verfrachten! Die Engländer haben recht, wenn sie ihre großen Leute im Kirchenschiff der Westminster Abbey beisetzen, im Licht der Kathedralenfenster … aber unsere britischen Freunde haben in solchen Dingen ja sowieso eine glückliche Hand. Schauen Sie sich nur mal ihre idyllischen Friedhöfe an, auf denen die Grabsteine inmitten grüner Rasenflächen ruhen, und dann vergleichen Sie damit die trostlosen Kiesalleen unserer Friedhöfe, wo jedes aufkeimende Pflänzchen sofort vernichtet wird!«
    Während das Gespräch weiterging (oder vielmehr der Monolog des alten François), begaben sie sich zur Vorhalle zurück, und als sie schließlich draußen standen, genossen sie einen der schönsten Blicke über Paris. Vor ihren Füßen lag die Rue Soufflot, die zum Jardin du Luxembourg hinabführte; man konnte die Dächer des Palais Médicis erkennen und in der Ferne den Eiffelturm, dessen Silhouette sich direkt aus dem Blätterwerk zu erheben schien.
    »Ich glaube, ich sehe den Turm lieber von hier als vom Trocadéro
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