Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heaven - Stadt der Feen

Heaven - Stadt der Feen

Titel: Heaven - Stadt der Feen
Autoren: Christoph Marzi
Vom Netzwerk:
ausgelacht.
    David strich sich sein braunes zotteliges Haar aus der Stirn, sodass es wie eine wild gewordene Tolle abstand. Vollkommene Finsternis hing dort drüben, wo sich die Kuppel von St. Paul’s erhob. Kein einziger Nadelstich aus Funkeln und Licht durchstach die Schwärze.
    Das nächtliche Hupkonzert unten auf der Kensington High Street klang durch die Lüfte. Die wahre Musik der Nacht, so hörte sie sich an.
    David suchte seinen Weg über die Zinnen und Dachrinnen und schmalen Pfade zwischen den Dächern und achtete besonders auf die schimmernden rutschigen Stellen. Wie in allen Außenbezirken Londons funkelten hier die Sterne und schien der Mond. Nicht nur deswegen war er gerne hier draußen unterwegs.
    Bevor er mit seinen Botengängen begonnen hatte, hätte David nie vermutet, wie viele Menschen hoch oben über den Dächern der Stadt lebten. Es war eine eigene Welt, die sich auftat, mit jeder Menge Schleichwege, Leitern und Schrägen, enge Passagen und Vorsprünge, die wie Brücken waren.
    Mit der Zeit hatte David sich diese Welt erschlossen. Es gab Treppenhäuser, die allzeit offen waren, und Bäume, auf deren Ästen man die Straßenschluchten überqueren konnte. Es gab aber auch Fallwinde hier oben, jähe Böen. Ein einziger Fehltritt konnte einen in den nächsten Abgrund zerren.
    David nutzte einen Mauervorsprung, um mit Schwungauf das nächste Dach zu wechseln. Er trug rote Chucks, wie immer. Der Rest seiner Kleidung war schwarz. Pullover, Jeans, Gürtel – alles schwarz. Auch wie immer.
    Der Kunde, zu dem er unterwegs war, würde bereits ungeduldig warten. Die kostbare Fracht, die David bei sich trug, war die französische Luxusausgabe des Romans
Die Braut von Lammermoor
von Walter Scott, herausgegeben im Jahre 1886 von Firmin-Didot und versehen mit den Illustrationen von Brown, Godefroy und einer Reihe weiterer Zeichner. Ein UPS-Kurier hatte sie am frühen Abend in den Buchladen gebracht und sich einen Stapel Papierkram abzeichnen lassen. Und Miss Trodwood, die Eigentümerin von
The Owl and the Pussycat
, hatte darauf bestanden, dass David die Ware noch in dieser Nacht nach Kensington lieferte. Die Kunden, die Bücher wie dieses orderten, wollten nicht länger als nötig warten.
    David hatte die U-Bahn bis nach Kensington High Street Station genommen, aber dann beschlossen, den Rest des Weges hier oben zurückzulegen. Er mochte die U-Bahn nicht sonderlich. Das Gefühl, unter der Erde eingesperrt zu sein, war etwas, auf das er gerne verzichtet. Wie so oft war er auf die Wege der Schornsteinfeger ausgewichen, an die frische Luft, wo er den Kopf freibekommen konnte.
    Etwas, das er heute besonders nötig hatte. Denn David wollte endlich vergessen, was ihm seit Tagen schon Kopfzerbrechen bereitete. Natürlich wusste er, dass die Probleme, die er mit sich herumtrug, nicht zu der Sorte von Problemen gehörten, die Welten verändern und die Geschicke der Menschheit lenken.
    Nein, das, was ihm zusetzte, war eigentlich in höchstemMaße banal, nichts, was andere Jugendliche nicht auch durchmachten.
    Er war siebzehn Jahre alt und hatte festgestellt, dass er die junge Frau, mit der er gerade einmal zwei Monate auf eine Art zusammen gewesen war, die man nicht unbedingt als glückliche Beziehung hätte beschreiben können, nicht liebte. David wusste natürlich, dass die BBC aus einer Beziehungsgeschichte wie dieser ein Fernsehdrama hätte machen können, das sogar den
East Enders
den Rang abgelaufen hätte, aber er wollte der ganzen Sache nicht mehr Raum in seinem Leben zugestehen, als sie verdiente.
    Er hatte einen Fehler gemacht und Kelly auch.
    Mit einem Poltern landete er auf einem Dach am Phillimore Walk, schwang sich an einem Schornstein vorbei und rannte auf den schrägen Kaminkehrerwegen weiter.
    Wenn er über die Dächer lief, dann wurde ihm bewusst, wie nah man sich doch die meiste Zeit über an einem Abgrund bewegt, der nur darauf wartet, einen zu verschlingen. David wusste, wie leicht man Gefahr laufen konnte, den Halt zu verlieren und abzustürzen, tief, tief hinab, wo die Menschen nur kleine Punkte sind, die wie Ameisen ihren eigenen kleinen Zielen entgegenwuseln. Ihm war klar, wie nah er dem Abgrund gewesen war, und es wurde Zeit, dass er endlich wieder Boden unter den Füßen fand. Und dazu gehörte auch, Kelly Robertson aus dem Weg zu gehen.
    Er hielt kurz inne und atmete tief durch.
    Die Gerippe der kahlen Bäume, die im Sommer so grün waren, dass es fast so aussah, als wüchsen regelrecht
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher