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Heaven - Stadt der Feen

Heaven - Stadt der Feen

Titel: Heaven - Stadt der Feen
Autoren: Christoph Marzi
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die sie bereuten, noch ehe die Nacht vorbei war.
    David schüttelte den Kopf. Okay, er hatte Kelly nicht geliebt. Sie war nur eine der wenigen Menschen in London, die nett zu ihm gewesen waren. Im Grunde genommen war sie ihm egal. Und er hätte sich wirklich wieder Ärger eingehandelt, wenn sie zusammengeblieben wären. Aber trotzdem – er fühlte sich leer, irgendwie. Scheiße, warum konnte er sie sich nicht einfach aus dem Kopf schlagen?
    Er holte tief Luft, zog sich den Schal fester um den Hals und setzte sich wieder in Bewegung. Sein Kunde, Mr Merryweather, wohnhaft am Phillimore Place Nr. 18 und ein glühender Verehrer der Werke Walter Scotts, wartete mit Sicherheit schon Pfeife rauchend und sich den Backenbart kraulend auf Miss Trodwoods Fund.
    In gut zehn Metern Höhe über der Straße umrundete Davidden Häuserblock mit den Pappeln im Innenhof und erreichte Essex Villa, einen Block von seinem Ziel entfernt. Die Dächer waren hier etwas flacher, sodass er rasch vorwärtskam. Kurz darauf stand er vor dem schmalen Zwischenraum, der Nr. 16 Phillimore Place von Nr. 18 trennte. David nahm Augenmaß und sprang hinüber. Schon oft hatte er sich überlegt, die gefährlich rutschigen roten Chucks gegen festes Schuhwerk auszutauschen, aber er mochte die alten Treter nun mal.
    Der Schwung des Sprungs warf ihn nach vorne. Er griff nach einem aus dem Dach lugenden Blitzableiter, hielt sich daran fest und bremste im Weiterlaufen ab.
    Dann spürte er einen Widerstand, wo er keinen vermutet hatte. Er stolperte und fiel über den Körper eines Mädchens, das auf dem Dach neben einem alten Teleskop hockte. Im Dämmerlicht hatte er sie nicht bemerkt – außerdem hatte er nicht damit gerechnet, hier oben jemanden anzutreffen.
    Dunkle Haut, lange dunkle Haare.
    Das sah er noch, dann war er vorbei, er rutschte über das Dach und spürte, wie ein scharfer Schmerz seine Schulter durchzuckte.
    Seine Hände griffen ins Leere, er ruderte mit den Armen und versuchte, auf den nassen Ziegeln Halt zu finden. Seine Finger schrammten über die rauen Oberflächen der alten Dachabdeckung, verzweifelt krallte er nach jedem Vorsprung, der sich ihm bot, und doch dehnten sich die Sekunden bis zu einer halben Ewigkeit, als er endlich in Schräglage an einem Vorsprung hängen blieb.
    Für einen Moment blieb er regungslos liegen. Sein Atem durchschnitt keuchend die Stille.
    Mann, das war knapp gewesen! Wie hatte er nur so nachlässig sein können! Er hob den Kopf und spähte vorsichtig in die Tiefe. Die alten, um die vorletzte Jahrhundertwende entstandenen Häuser hier in Kensington waren nicht hoch zu nennen, David war weitaus größere Höhen gewohnt, aber drei oder vier Stockwerke reichten auch, um in den Tod zu stürzen.
    Langsam rappelte er sich auf, kam auf die Knie und sah sich um.
    Phillimore Place Nr. 18 hatte ein spitzes Dach mit einigen Erkern, aber an der Stelle etwas weiter oberhalb, an der das Mädchen kniete, war ein flacher Vorsprung wie ein kleiner Balkon eingelassen. Eine niedrige Mauer trennte ihn von dem übrigen Dach. Der Boden war nass vom Nieselregen und der Rauch quoll wie dunkler Nebel aus den Schornsteinen der Nachbarschaft.
    Das Mädchen hob den Blick und sah ihn aus tiefdunklen Augen an.
    »Was zur Hölle machst du hier oben?«, fragte David.
    »Ich . . .« Sie schluckte die Worte hinunter. Dann sah sie sich hektisch um, als würde sie nach jemandem suchen. Sie wirkte wie jemand, der gerade bei irgendetwas ertappt worden war.
    »Alles in Ordnung?«, fragte David mechanisch. Er überprüfte den Inhalt der Tasche und stellte erleichtert fest, dass es Walter Scott noch gut ging.
    »Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Nicht wirklich.«
    Er kletterte zu ihr hinauf und kniete sich neben sie. »Hast du dir was getan?«
    »Nein, du bist nur über mich gestolpert. Hat nicht wehgetan.«
    Frag mich mal, dachte er, aber er verbiss sich die Bemerkung.
    »Wie bist du hier raufgekommen?«, fragte er stattdessen.
    »Ich bin eingebrochen«, antwortete sie.
    »Eingebrochen?« Er zog ungläubig eine Augenbraue in die Höhe und hockte sich auf den kleinen Mauervorsprung. Für einen Moment musterte er sie schweigend, während er seine schmerzende Schulter rieb.
    David war es gewohnt, Menschen einzuschätzen, und meistens behielt er recht mit dem, was er auf ersten Blick sah.
    Das Mädchen war groß, fast so groß wie er, und schlank, wie jemand, der keinen Sport machen musste, um gut auszusehen. Wenn sie sich bewegte, dann waren diese
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