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Heaven (German Edition)

Heaven (German Edition)

Titel: Heaven (German Edition)
Autoren: Alexandra Adornetto
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gelegt, als die Kirchentür mit einer solchen Wucht aufflog, dass wir alle zusammenzuckten.
    In der Tür stand ein Junge mit femininen Gesichtszügen und wildem Haarwirbel. Unter seiner schwarzen Kutte mit Kapuze fächerten sich drei Paar schwarze Flügel auf. Er verbeugte sich höflich und sah Pater Mel vielsagend an, bevor er mit so geschmeidigem Schritt auf den Altar zulief, als wäre er auf dem Laufsteg. Eine glänzende Sichel baumelte an seiner Seite. Mir war sofort klar, wen wir vor uns hatten: den Sensenmann, ausgebildet von den Engeln des Todes persönlich. Mrs. Alvarez stieß einen hysterischen Schrei aus und flüchtete sich hinter den Altar, von wo aus gleich darauf hektische Gebete in Spanisch erklangen. Normalerweise war der Sensenmann nur für den sichtbar, für den er gekommen war, doch in diesem Fall war auf jegliche Etikette verzichtet worden. Was hier geschah, sollte eine Botschaft für uns sein. Dieser Tod ging auf unser Konto.
    Instinktiv zog ich Xavier zu Boden, wo sich im selben Moment meine Flügel öffneten und sich schützend über ihn legten: Es war unmöglich für den Sensenmann, eine Seele zu holen, wenn ein Engel über sie wachte. Doch der junge Sensenmann hatte es gar nicht auf Xavier abgesehen.
    Sein durchdringender Blick verharrte auf Pater Mel, und auch sein langer, dünner Finger wies auf ihn. Der Priester zwinkerte verwirrt und wich zurück, bis er gegen den Altar gepresst dastand und ihm die Hornbrille schief auf der Nase hing.
    «Ich wollte nur helfen. Ich wollte nur helfen», wiederholte er.
    «Deine Absicht ist unwichtig», antwortete der Sensenmann kühl.
    Pater Mel schwieg einen Augenblick, bevor er sich aufrichtete. «Der Herr hat mich gerufen, und ich bin ihm gefolgt.»
    «Weißt du, was sie ist?», fragte der Sensenmann. «Sie ist nicht menschlich.»
    Pater Mel wirkte nicht überrascht. Schon lange hatte er geahnt, dass ich anders war, auch wenn er mich nie darauf angesprochen oder anders behandelt hatte.
    «Gottes Wege sind unergründlich», erwiderte er mutig.
    Der Sensenmann neigte den Kopf. «Wie wahr.»
    Paralysiert sah ich zu, wie er die Hand hob. Sofort krümmte sich Pater Mel und griff sich ans Herz, bevor er nach Luft schnappend zu Boden fiel.
    «Lass ihn in Ruhe», schrie Xavier und versuchte, sich aus meinen Flügeln zu befreien. Ich aber hielt ihn mit aller Kraft, die ich hatte, fest. Der Sensenmann blickte uns zum ersten Mal direkt an und warf Xavier einen gelangweilten Blick zu. Das Lächeln aus seinen vollen Lippen wirkte beinahe frech.
    «Mit dir habe ich nichts zu schaffen», antwortete er. Dann schritt er zu dem Priester, der lang ausgestreckt auf dem Marmorfußboden lag. Xavier rang mit mir, aber meine himmlischen Kräfte hielten ihn.
    «Beth, lass mich los», flehte er. «Pater Mel braucht Hilfe.»
    «Wir können ihm nicht mehr helfen.»
    «Was ist los mit dir?», fragt er und sah mich so erstaunt an, als ob er mich nicht wiedererkannte.
    «Gegen den Sensenmann sind wir machtlos», flüsterte ich. «Er arbeitet im Auftrag. Wenn du dich ihm in den Weg stellst, nimmt er dich auch mit. Willst du mich nur wenige Minuten nach der Hochzeit zur Witwe machen?»
    Das überzeugte ihn. Xavier hörte auf zu kämpfen und verharrte still, auch wenn seine Augen vor Wut Funken sprühten. Hilflos sah er mit an, wie sich der Körper des Priesters und Begleiters seiner Kindheit ein letztes Mal aufbäumte, bevor er bewegungslos liegen blieb. Der Sensenmann rutschte ein Stück von ihm weg und setzte sich neben seinen Kopf. Ich wusste, worauf er wartete. Und da strömte auch schon ein Schatten, ähnlich einer Rauchschwade, aus Pater Mels Mund und stieg in die Luft hinauf – ein zarter Abdruck des leblosen Körpers auf dem Boden.
    «Folge mir», befahl der Sensenmann tonlos. Es klang beinahe gelangweilt. Für einen Moment wirkte Pater Mels Seele verloren, als ob sie den Weg suchte, dann gehorchte sie. Der Sensenmann und die Seele des Sterblichen stiegen gemeinsam zur Kuppel hinauf.
    «Wo bringst du ihn hin?», fragte ich. Die Vorstellung, dass Pater Mel unseretwegen in den Höllenpfuhl geworfen würde, grauste mich.
    «Seine Motive waren gut, sein Platz im Himmel bleibt ihm erhalten», antwortete der Sensenmann, ohne zurückzublicken oder im Flug anzuhalten. «Aber seine Zeit auf Erden ist abgelaufen.»

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    2
    Run, Baby, Run
    Erst als der Sensenmann verschwunden war, fühlte ich mich sicher genug, Xavier loszulassen. Sofort hastete er zu Pater Mels
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