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Heart beats sex

Heart beats sex

Titel: Heart beats sex
Autoren: Johanna Driest
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wieder anspringt und ich was sehe, weiß ich nicht, ob ich in meine Träume hinein erwache, in meine Erinnerungen, oder ob ich ein Abbild meiner präsenten Umgebung im Spiegel erblicke: Ich stecke in einem langen Nachthemd, das mir meine Mutter Hannah einmal zu Weihnachten geschenkt hat. Ich husche am Spiegel vorbei, von der Toilette kommend, schleiche ich mich auf Zehenspitzen in mein Bett, ziehe die Decke hoch und tue, als schliefe ich. Nun erinnere ich mich auch wieder – ich wollte, dass Mami mich mit drei Küssen weckt, einen auf die Stirn, einen links und einen rechts. Links und rechts – dazu musste sie mein Gesicht in beide Hände nehmen und den Kopf wenden, wenn ich auf der Seite lag. Das war das Zeichen zum Erwachen. So war das Spiel.
    Jetzt aber läuft die Chose gar nicht so, jetzt bleibt sie in der Tür stehen und sagt schroff: »Steh auf, oder hast du den Termin bei Gericht vergessen? Tee steht in der Küche, ich muss jetzt zum Arzt.« Die Tür fällt ins Schloss. Ich sehe mir dabei zu, wie ich aufstehe, in der Küche Tee schlürfe, mich dusche und mir hastig ein Handtuch umlege, als es klingelt. Ich sause zur Tür, öffne, und da steht Papi vor mir. »Ich beeil mich!«, rufe ich ihm zu.
    Ich sehe dies alles wie einen Film, mit mir in der Hauptrolle. Manchmal werden die Sequenzen unscharf, manchmal gibt’s Sprünge, manchmal fühle ich nichts, sondern sehe nur
starre Bilder. Den Gerichtstag aber gab es. An ihm erwachte ich mit einer angenehmen Heiterkeit und hatte sofort mein Logo vor Augen – MGM. ( Mona glimmt morgens. Ich hatte es mal im Zeichenunterricht erfunden.) Die Sonnenstrahlen über dem Glimmen wurden stärker (= Freude), weil ich nicht zur Schule musste.
    Der Grund dafür fiel mir erst wieder ein, als Papi vor mir stand und irgendetwas von »spät« sagte. Erst da fiel mir wieder ein, dass der Familienrichter das Sorgerecht für mich von Mami auf Papi übertragen sollte oder wollte, keine Ahnung.
     
    Der Familienrichter war das, was man sich unter einem Beamten vorstellt, den man schon am nächsten Tag wieder vergessen hat. Sein Anzug war düster wie das ganze Gebäude mit den breiten Treppen, langen Linoleumgängen und hohen gebeizten Türen, an denen Saal eins, Saal zwei und so weiter stand. Der Richter war ziemlich verärgert, dass Mami es nicht für nötig gehalten hatte, auch zu erscheinen, und versuchte mühsam, sich ein Bild von meiner Situation zu machen. Damals wusste ich das nicht, aber Papi erklärte mir hinterher, dass das seine Pflicht war, denn er könne das Sorgerecht nur übertragen, wenn er davon überzeugt sei, dass es dem Wohle des Kindes diene.
    Mit detektivischer Schnüffelnase fragte er sich also bei mir und Papi in die Familienverhältnisse hinein, wobei rauskam, dass Mami die Schlampe der Freiheit war, die es nicht einmal für nötig hielt, sich für ihr Fehlen zu entschuldigen, und Papi der Garant für Ordnung und Fortkommen. Darin stimmten sie beide überein, der trübe, schlecht gelaunte Richter und Papi, und auch darin, was das Fortkommen behindere oder ganz unmöglich mache: Drogen, Sex, Alkohol, Zigaretten, Schule schwänzen, faul sein. Frech sein gehörte nur zu Papis
Jugendzeiten zu den No-gos, erklärte er mir hinterher, denn mit der Freiheit und dem Kaugummi, das die Amerikaner gebracht hatten, sei damit Schluss gewesen. Das ist schon ziemlich lange her, denn Papi ist siebzig oder zwei, drei Jährchen davor oder danach und kann sich gar nicht mehr so flott bewegen, wie es zu einem frechen Charakter gehört. Frech und flott gehören zusammen, meint er.
    Auf dem Trip nach meinem Pillen-Blackout ist das alles nicht so deutlich. Vieles verschwindet hinter Schlieren und Schlamperei (filmisch gesprochen), aber einige Dinge stechen so heraus, dass ich sie behalten werde. Einiges ist allerdings anders und wird sich, so hoffe ich, erst nach meinem Drogenschock wieder zurechtrücken, wenn ich wieder gesund bin. Dies zum Beispiel, das war nämlich so abgelaufen: An dem Tag, als ich von Mami auf Papi übertragen wurde, machte Mami mir morgens Müsli, und ich ging gleich zur Schule. Um zehn musste ich den Unterricht verlassen und zum Amtsgericht fahren. Papi wartete oben an der U-Bahn-Treppe auf mich. Er wollte nicht zu uns nach Hause kommen, konnte also gar nicht bei uns an der Tür geklingelt haben.
    Auf dem Weg zum Gericht fragte er mich, ob ich wisse, was da jetzt passieren solle. Ich wusste nur die Sache mit dem Eigentum, weil das schon in den Vorgesprächen
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