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Havelgeister (German Edition)

Havelgeister (German Edition)

Titel: Havelgeister (German Edition)
Autoren: Jean Wiersch
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rief Paul bereits über den Gartenzaun.
    Manzetti zuckte zusammen. In ihm machte sich die Ahnung von dem breit, was nun kommen würde, und er verdammte Julius mit einem Vokabular, das er lieber nicht laut aussprach.
    Der Pferdebesitzer Paul war nicht nur der liebste Freund der Manzettitöchter, sondern auch Binnenschiffer in Rente. Und somit hatte er viel Zeit für ein Leben, das auch jetzt noch nicht stillstehen wollte.
    »Es muss immer alles im Fluss sein«, behauptete Paul ständig. Schließlich hatten er und sein Schiff auch selten vor Anker gelegen.
    »Na, schon wieder nichts zu tun?«, fragte Paul nun und lüftete seine speckige Schiffermütze, die er sogar im Hochsommer trug.
    Manzetti erkannte sofort, dass hier nicht einfach eine Frage gestellt wurde. Es handelte sich vielmehr um einen feinen Vorwurf, und Paul beugte sich über den Gartenzaun, um die Nachbarschaft auf den rechten Pfad der Tugend zu bringen.
    »Paul, ich habe genug zu tun«, bemühte Manzetti sich um eine erste, vorsichtige Verteidigung. »Ich muss gleich zum Dienst und war nur mit Julius noch eine kurze Runde durch den Garten unterwegs.«
    Am Zaun reichte Manzetti Paul die Hand, doch dessen raue Pranke griff sogleich nach der Kaffeetasse. Nur Sekundenbruchteile später verschwand die riesige, grobporige Nase in dem blauen Tongefäß.
    »Wenigstens Kaffee machen könnt ihr Italiener ja«, lobte Paul und ließ die letzten Tropfen des Latte macchiato in das feuchte Gras fallen.
    »Ich bin nicht nur Italiener, Paul, sondern auch Deutscher«, erklärte Manzetti seine Herkunft bestimmt zum hundertsten Mal, obwohl er wusste, dass Paul es wieder nicht begreifen würde.
    »Das geht nicht, Nachbar«, konterte er auch schon und vermied dabei wie immer, Manzetti bei dessen italienischem Vornamen zu nennen. Für Paul hatten Menschen, die Andrea hießen, große Brüste und trugen Röcke.
    »Man muss sich im Leben immer entscheiden, Nachbar«, philosophierte er auf seine bäuerliche Art. »Für wen willst du denn die Fahne schwenken, wenn unsere Jungs im Endspiel auf die Italiener treffen?«
    Manzetti ließ die Frage unbeantwortet, was seinem großen Erfahrungsschatz beim Umgang mit Nachbar Paul entsprang. Der war ein Mensch, der sich nur mit zwei Dingen auskannte. Der Schifffahrt und Fußball. Und Manzetti hatte weder auf das eine noch das andere Thema Lust.
    Zum Glück reichte Paul ihm die leere Tasse zurück.
    »Du kommst zur rechten Zeit, Nachbar. Ich brauche nämlich deine Hilfe.«
    »Paul«, nörgelte Manzetti. »Ich habe wirklich keine Zeit. In spätestens einer Stunde muss ich in der Direktion sein und vorher will ich noch duschen.«
    Aber Paul kannte keine Gnade mit der Morgenhygiene von Polizeibeamten.
    »Nur einen Moment«, knurrte er. »Komm mal rüber.«
    Der Umstand, dass Paul bereits die beiden Latten auseinander schob, die nur oben mit einem Nagel gehalten wurden und damit unten ein großes Durchschlupfloch schufen, sagte Manzetti, dass er seine letzte Hoffnung endgültig begraben konnte.
    »Nur kurz, Nachbar«, betonte Paul noch einmal und schloss hinter Manzetti wieder die Lücke im Bretterzaun.
    »Was ist denn?«, jammerte der Hauptkommissar. »Ich schieb dir nicht schon wieder die Mülltonnen auf die Straße. Das kannst du nämlich allein, wie jeder andere im Dorf auch. Dafür haben die Dinger nämlich Rollen.«
    Paul warf sich ein halbes Dutzend Sonnenblumenkerne in den Mund und sah Manzetti an, als glaubte er, dass sich zwischen den Ohren von Stadtmenschen nur luftleerer Raum befände. Und Stadtmenschen würden die Manzettis für ihn bleiben, bis die zweite Generation der Familie auf den Friedhof gebracht war.
    »Nachbar«, raunte Paul mit seinem dröhnenden Bass. »Ich habe die Mülltonnen schon längst rausgebracht. Aber ich komme an das Gold nicht ran.«
    War Paul jetzt übergeschnappt? »Was redest du da von Gold? Ich habe wirklich keine Zeit für deinen Blödsinn.«
    »Komm doch nur mal kurz.« Paul ließ nicht locker und zerrte an Manzetti herum, wie es sonst nur seine kleine Tochter Paola tat. Die übrigens konnte mit Paul in Augenhöhe reden, denn beide reichten dem Hauptkommissar der hiesigen Polizeidirektion nur bis zum Brustbein. Das hielt Paul allerdings nicht davon ab, den einsfünfundachtzig großen Manzetti bis zum Birnbaum zu zerren, unter dem bereits drei volle Körbe aus dem hohen Gras guckten.
    Manzetti setzte zu einem letzten Versuch an. »Kannst du nicht nachher meine Töchter fragen, ob sie dir helfen?«
    »Kann
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