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Havelgeister (German Edition)

Havelgeister (German Edition)

Titel: Havelgeister (German Edition)
Autoren: Jean Wiersch
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Stockwerke hoch. Oben schloss er die zerschrammte Tür mit dem Namensschild »Schuster« auf und verschwand sogleich in sein Zimmer, das er sich mit einer schwarz-weißen Ratte und einigen Guppys teilte, die sich in einem großen Wasserglas tummelten. Hier war er sicher und noch bevor er ausgiebig über die letzte Nacht nachdenken konnte, fielen ihm die Augen zu.
    Mit der Gewissheit, einen verdammt guten Job gemacht zu haben, schlief er seelenruhig ein.
    Auch wenn Nepo nicht an der verabredeten Brücke erschienen war, musste er sich keine Sorgen machen. Ihr Crewchef war clever – viel cleverer als alle anderen Jungen in der Stadt und viel cleverer als die blöden Bullen.

4
    Die Sonne blitzte vom spätsommerlichen Himmel auf die Dominsel und knallte Henry Wegmann direkt in die Pupille. Scheißdreck, dachte er und tastete seine Jackentaschen nach einer Sonnenbrille ab. Vergebens, wie er feststellen musste. Sie lag bestimmt noch auf seinem Schreibtisch, wie auch der Fotoapparat und die DJ-Ötzi-Mütze, ohne die er normalerweise das Redaktionsgebäude am Neustädtischen Markt nicht verließ.
    Aber was war schon normal an diesem Morgen?
    Der Chefredakteur hatte alles rausgejagt, was laufen konnte. Und so war Wegmann zum Dom gerannt, während die anderen beiden Reporter ihre Kontakte abklapperten, einer in Richtung Nord und der andere in Hohenstücken.
    »Ich will die absolute Story und ich will sie als Erster«, hatte Riethmüller gebrüllt und der Mann meinte das auch so. »Bringt mir die Hammergeschichte oder ihr könnt euch gleich einen anderen Job suchen, ihr faulen Säcke.«
    Das war die Atmosphäre im Kurier, für die das Blatt bekannt war. Soziale Wärme gepaart mit durchdachter Planung, fernab jeden Zeitdrucks anderer Zeitungen. Hier arbeiteten noch Journalisten vom alten Schrot und Korn und nicht nur Billigvolontäre, die ohne Hartz-IV-Zusatz nicht wussten, wie sie den Kühlschrank voll bekommen sollten. Wegmann schätzte dieses Klima so sehr, dass er Riethmüller am liebsten abknallen würde wie ein glotzendes Moorhuhn.
    »Hast du schon Bilder?«, fragte er über die Schulter von Karin Sommer hinweg, die noch vor ihm die Redaktion verlassen hatte. Sie musste als Fotoreporterin schneller als alle anderen sein, denn nichts war überflüssiger als das zweite Bild.
    »Klar«, sagte sie und rammte ihm den spitzen Ellenbogen in die Rippen. »Willst du mal sehen?«
    »Natürlich.« Wegmann griff nach der schwarzen Digitalkamera.
    »Na, na«, lachte Karin und schlug ihm heftig auf die Finger. »Nur gucken. Nicht anfassen.«
    Wegmann guckte also nur.
    Über der Dachhälfte des Doms, die in Richtung Innenstadt zeigte, leuchtete ein überdimensionales Transparent. Irgendjemand hatte sich die Mühe gemacht und mindestens zehn weiße Bettlaken zusammengenäht. Das allein mochte ja schon ein Grund zum Zungeschnalzen sein, aber das Motiv auf dieser überdimensionierten Leinwand war schlicht der Hammer.
    Der Polizeidirektor von Brandenburg in voller Größe und noch dazu in einer ziemlich ungewöhnlichen Pose.
    »Da hat aber einer Fantasie bewiesen«, trällerte Wegmann und wechselte den Blick vom Display der Kamera wieder zum Original auf dem Dom, über dem gerade der Polizeihubschrauber Position bezogen hatte.
    »Findest du?«, fragte Karin. »Da hat eher einer Sinn für Humor. Mit Fantasie hat das meines Erachtens wenig zu tun.«
    »Quatsch«, sagte Wegmann, nahm eine Hand schützend über die Augen und wischte sich bei der Gelegenheit gleich mal die Schweißperlen von der Stirn. Fünf Minuten in der Sonne reichten, und er schwitzte wie ein Schwein. »Diese Darstellung von Direktor Claasen muss dir erst mal einfallen.«
    »Ihre Kollegin hat Recht«, tönte plötzlich ein markanter Bariton hinter Wegmann. »Es ist die Imitation eines großen Werkes, und die dazu gehörende Fantasie ist bereits 1944 verstorben.«
    Wegmann zog den Kopf zwischen die Schultern und drehte sich vorsichtig um. Er hätte es wissen müssen. Irgendwann würde dieser Kerl hier auftauchen und ihm wie immer das Leben schwermachen. Er bemühte sich um ein provokantes Grinsen und blickte direkt in die Augen von Hauptkommissar Andrea Manzetti.
    »Morgen, Herr Wikipedia«, schnurrte Wegmann und sah sich dann schnell um, ob noch weitere Spielverderber anwesend waren. »Können Sie mir das vielleicht etwas genauer erklären?«
    Manzetti nickte. Er hatte die Genialität des riesigen Graffitis schon im Auto erkannt und als momentan ranghöchster Polizist dem
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