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Hausbock

Hausbock

Titel: Hausbock
Autoren: Richard Auer
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schlängelte sich die Anlauter, ein breiter Bach, in
aberwitzigen Schlaufen durch die sattgrünen Wiesen. Die Flurbereinigungsmanager
der sechziger Jahre hatten dieses Tal anscheinend schlichtweg übersehen, als
sie Bäche und Flüsse in betonierte Kanalkorsette gezwungen hatten.
    Die Mühle stand etwas abseits der Kreisstraße auf der anderen Seite
der Anlauter, erreichbar über eine schmale Brücke und einen asphaltierten
Zufahrtsweg, der als Sackgasse gekennzeichnet war. Bereits von der Hauptstraße
aus war Morgenstern klar, dass hier nichts mehr zu retten war. Das Gebäude war
schon jetzt nur noch ein Skelett. Als sie abbiegen wollten, hielt ein junger
Feuerwehrmann sie auf. Ein allenfalls zwanzigjähriger Bursche, der mit einer
Verkehrskelle winkte und seinen Helm trug, als fürchtete er, hier auf freiem
Feld könnte ihm der Himmel auf den Kopf fallen.
    »Sie können da nicht durch«, sagte er.
    »Kripo Ingolstadt«, gab Hecht aus dem heruntergekurbelten Seitenfenster
zurück.
    Der Feuerwehrler musterte die beiden Insassen skeptisch, und dann
kam tatsächlich die Aufforderung: »Darf ich mal Ihren Ausweis sehen?«
    Hecht fummelte nach seinem Geldbeutel und hielt dem Milchgesicht,
das durch einen Jackenaufnäher als Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr Emsing
erkennbar war, den Dienstausweis unter die Nase. Eifrig winkte ihn der junge
Mann daraufhin weiter. Aber Morgenstern meldete sich vom Beifahrersitz zu Wort.
    »Weiß man schon was Genaueres?«
    Der Feuerwehrler reagierte zurückhaltend. »Auskünfte gibt allein
unser Kommandant. Ich steh ja nur hier draußen.« Er seufzte tief. »Ich würde
jetzt auch lieber löschen, als hier rumzustehen und den Verkehr zu regeln.«
    »Kann ich verstehen«, sagte Morgenstern. »Da gibt es einmal einen
Großbrand, und Sie dürfen nicht löschen, bergen, retten.«
    »Und dafür habe ich monatelang jeden Samstag die Truppmannausbildung
gemacht. Erst Stufe eins, dann Stufe zwei. Alles fehlerfrei.«
    »Warum dürfen Sie denn nicht löschen?«, fragte nun auch Hecht und
streute damit weiter Salz in eine erkennbar offene Wunde.
    Der Mund des jungen Mannes wurde schmal. »Man hat mich
hierhergestellt. Basta. Das hat der Kommandant schon am Feuerwehrhaus
entschieden.«
    »Na dann. Viel Erfolg noch. Glauben Sie uns: Sie haben eine ganz
wichtige Aufgabe. Doch, doch.« Morgenstern winkte kurz, und Hecht trat aufs
Gaspedal. Der Feuerwehrler blieb an der Kreuzung zurück. Mit durchgestrecktem
Rücken, und die Kelle hielt er nun so entschlossen wie ein päpstlicher
Schweizergardist seine Hellebarde.
    Die Mühle war umgeben von Feuerwehrfahrzeugen. Aus allen umliegenden
Dörfern waren die Wehren ausgerückt, aus Titting und Kinding, aus Altdorf,
Emsing, Wachenzell und Hirnstetten. Der Fuhrpark, der hier zusammengekommen
war, wirkte auf Morgenstern kurios: Modernste Fahrzeuge standen neben uralten
Hanomag-Lastwagen mit rundlichen Motorhauben; die kleineren Wehren hatten ihren
ganzen Stolz, die örtliche »Tragkraftspritze«, an einen Traktor angehängt und
zur Schwarzmühle gebracht.
    Beim Näherkommen sah Morgenstern, dass das Wasser der Anlauter aus
so vielen Rohren auf die Mühle gespritzt wurde, dass sich ein Schleier über die
Brandstelle senkte. Umso größer war die Qualmwolke, die aus dem Gebälk stieg.
Wenn hier tatsächlich irgendetwas von den Flammen verschont bliebe, würde es
von den Wassermassen zerstört werden.
    Hecht stellte den Wagen in sicherer Entfernung auf einer Wiese ab.
Sie stiegen aus und beobachteten das Schauspiel fasziniert. Gerade als sie sich
der Mühle nähern wollten, fiel mit einem schauerlichen Krachen der riesige
Dachstuhl in sich zusammen. Ein Funkenregen stob nach oben. Feuerwehrmänner
schrien Befehle, einige der Löschteams zogen sich mit ihren Schläuchen eilig
zurück. Wenig später neigte sich einer der beiden Hausgiebel wie in Zeitlupe.
Einen Moment sah es aus, als würde sich die gewaltige Steinmauer noch einmal
anders besinnen und stehen bleiben. Majestätisch, unverrückbar, wie seit
Jahrhunderten am angestammten Platz. Doch dann senkte sie sich, weiter und
weiter, brach im Fallen in der Mitte auseinander und stürzte mitten in die
Brandstelle.
    Morgenstern wich automatisch zurück, obwohl er viel zu weit entfernt
war, als dass ihn herumfliegende Trümmer hätten erreichen können. Ein Inferno,
dachte er und bemerkte, dass er fröstelte. Von der Mühle stand nun nur noch
eine einzelne Giebelmauer. Und auch sie würde sicher bald einfallen oder
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