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Haus des Glücks

Haus des Glücks

Titel: Haus des Glücks
Autoren: Yvonne Winkler
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großen Containerschiffe aus dem Hafen fuhr und auf das offene Meer hinaussteuerte.
    »Min Deern, kannst du bitte die Teekanne auf die Veranda bringen? Meine Hände sind bei diesem feuchten Wetter etwas steif.«
Ssteif.
Oma Lotte
sstolperte über den sspitzen Sstein,
wie man in Hamburg scherzhaft sagte, wenn jemand noch den typischen plattdeutschen Akzent hatte, der leider immer seltener wurde. Ein Akzent, in dem selbst Schimpfwörter niedlich klangen – obgleich Großmutter nie welche benutzte.
    »Natürlich.« Julia nahm die Porzellankanne und trug sie zum Teetisch, Oma Lotte folgte mit zwei farbenfrohen Wolldecken.
    »Nimm, Kind, es ist hier etwas kalt.«
    Julia schenkte Tee in die Tassen. Sofort breitete sich der feine Duft von Bergamotte aus.
    »Ich glaube, es pfeift durch eines der Fenster.«
    »Das Haus ist alt, die Veranda ist alt. Das letzte Mal hat noch dein Großvater die Dichtungen reparieren lassen. Das ist jetzt über dreißig Jahre her.« Sie lächelte versonnen in sich hinein. »Ich habe schon dem Sohn von Frau Yilmaz Bescheid gesagt. Morgen kommt er, um sie sich anzusehen.«
    »Oma, so ein paar Dichtungen könnte doch auch Marco erneuern. Er …«
    »Natürlich. Ich weiß doch, wie geschickt dein Mann ist. Aber er würde es in seiner Freizeit tun müssen, entweder am Abend, nach seiner Arbeit, oder am Wochenende, wenn er eigentlich mit Simon und Jonas Fußball spielen sollte.« Sie schüttelte den Kopf. »Erdogan hat eine Glaserei. Es ist sein Job.« Sie sprach das J aus wie in
Junge.
»Seine Familie lebt davon, und ich bezahle ihn dafür.«
    Julia zuckte mit den Schultern. Es hatte keinen Sinn, mit Großmutter über diese Dinge zu diskutieren. Die Ansichten der alten Dame waren unumstößlich. Und sie hatte nicht ganz unrecht. Dank dieser Haltung wurden die Besuche bei ihr nie lästig. Julia nahm ihre Tasse und kuschelte sich in die Decke aus weicher Alpakawolle, ein Mitbringsel aus Peru. Eine Weile sahen sie beide aus dem Fenster.
    »Min Deern, ist alles in Ordnung?«, unterbrach Oma Lotte das Schweigen. »Du bist still in letzter Zeit. Hast du Kummer? Ist irgendetwas mit den Kindern? Oder stimmt etwas nicht mit dir und Marco?«
    Julia trank einen Schluck Tee, um Zeit zu gewinnen. Sie fühlte die klugen braunen Augen ihrer Großmutter auf sich gerichtet. Sie wusste, dass es keinen Sinn hatte auszuweichen. Sie konnte sie nicht belügen. Es war absolut sinnlos, Oma Lotte durchschaute sie ebenso mühelos wie das Glas ihrer Veranda.
    Sie seufzte, stellte ihre Tasse ab und schaute aus dem Fenster. Das große Containerschiff war aus dem Blickfeld verschwunden, dafür fuhr die Fähre aus Cranz Richtung Blankenese.
    »Eigentlich ist es nichts. Und andererseits … Es ist nicht so, dass Marco und ich uns ständig streiten würden oder so. Aber in letzter Zeit …« Sie brach hilflos ab. Wie sollte sie in Worte fassen, was ihr selbst nicht klar war? Sie wusste nicht, warum es sie in den Wahnsinn trieb, wenn er morgens hektisch durch das Haus rannte, bevor er ins Büro fuhr, und weshalb jede Minute, die er sich am Abend verspätete, einer persönlichen Beleidigung gleichkam. Sie fand keine Erklärung, wieso ihr seit einiger Zeit zu Hause die Luft eng wurde, die Kinder sie wütend machten, sie eigentlich nur noch ungeduldig und gereizt war und ihren Aufgaben im Haushalt mit immer weniger Sorgfalt und Begeisterung nachging. Nachts, wenn sie neben sich die ruhigen Atemzüge ihres Mannes hörte, musste sie weinen. »Ich schlafe unruhig, bin ständig schlecht gelaunt. Ich schimpfe mit den Kindern wegen Kleinigkeiten.« Sie presste die Lippen aufeinander und schwieg. Tränen traten ihr in die Augen, ohne dass sie wusste, weshalb.
Was war los mit ihr?
Anfangs hatte sie geglaubt, schwanger zu sein, aber der Test war negativ gewesen. Und die Wechseljahre konnten es nicht sein. Nicht mit vierunddreißig.
Aber was war es dann?
    »Willst du wissen, was ich denke? Ich glaube, du bist unzufrieden, min Deern«, sagte Oma Lotte sanft. »Zutiefst unzufrieden.«
    Julia sah sie überrascht an. »Aber ich habe doch keinen Grund! Ich habe einen Mann, den ich liebe, drei wunderbare Kinder, ein schönes Reihenhaus mit Garten, liebe Freundinnen …«
    »Und reicht dir das? Die Kinder wachsen heran. Sie sind in der Schule, im Kindergarten, im Sportverein und in der Gemeindegruppe. Dein Mann trägt große Verantwortung in der Bank, kommt abends spät nach Hause. Deine Freundinnen arbeiten. Und du sitzt den ganzen Tag allein in
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