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Haus des Glücks

Haus des Glücks

Titel: Haus des Glücks
Autoren: Yvonne Winkler
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geschliffener Granat. »Zum Wohl!«
    Sie stießen an und tranken einen Schluck. Marco schlug die Beine übereinander, stützte den Ellbogen auf der Sessellehne auf und sah sie erwartungsvoll an.
    »Also raus mit der Sprache. Was ist los?«
    Julia stellte ihr Glas ab und wischte sich die Hände an der Jeans ab. Sie waren feucht, als müsste sie eine Prüfung ablegen. Sie überlegte, welche Strategie die beste war. Sollte sie sich langsam an das Thema herantasten und erst vom Gespräch mit Oma Lotte erzählen oder gleich zur Sache kommen? Von ihnen beiden war Marco der Geduldige, der Taktierer. Er hatte die Fähigkeit, den geeigneten Zeitpunkt abzuwarten und einen Sachverhalt in seiner ruhigen, bedächtigen und humorvollen Art so darzustellen, dass man nicht anders konnte, als ihm zuzustimmen. Sie bewunderte ihn dafür. Denn ihr gelang das nicht. Sie war zu hippelig, zu aufgeregt, zu ungeduldig, um die Nachricht noch länger hinauszuzögern oder darum herumzureden. Deshalb platzte sie auch geradewegs mit ihrer Kernaussage heraus. »Ich habe mich dazu entschlossen zu studieren.«
    Marco drehte das Weinglas in seiner Hand und betrachtete die Lichtreflexe. »Und woran hast du gedacht?«
    »Medizin«, antwortete sie sofort. »Ich möchte mein abgebrochenes Studium wieder aufnehmen.«
    Er nickte langsam. »Wie lange hast du damals studiert? Zwei Semester?«
    »Fast drei. Im dritten habe ich abgebrochen, weil Miriam zur Welt kam.«
    »Geht das denn? Kannst du dein Studium nach so langer Zeit einfach fortsetzen?«
    »Nach meinen bisherigen Recherchen ist das möglich. Natürlich muss ich mir einen Beratungstermin an der Uni geben lassen. Ich vermute, dass ich die ersten beiden Semester wiederholen müsste. Allerdings hätte ich ohnehin vor, die Kurse noch einmal zu belegen. Das meiste habe ich bestimmt vergessen. Es ist schon zu lange her.«
    »Und was wolltest du jetzt mit mir besprechen?«
    »Ich möchte wissen, wie du darüber denkst. Soll ich es machen oder nicht?«
    Marco holte tief Luft. Dann sah er sie an. »Das kommt ein bisschen überraschend. Ist es für dich in Ordnung, wenn ich eine Nacht darüber schlafe? Wir reden morgen Abend, okay?«
    Julia klemmte sich eine Haarsträhne hinter das Ohr, ihr Bein wippte nervös. Sie riss sich zusammen, um nicht laut zu werden. Er schien nicht zu begreifen, wie wichtig dieses Thema für sie war. Sie konnte nicht warten, sie musste es jetzt gleich besprechen! »Du bist dagegen, dass ich studiere, nicht wahr?«
    »Julia. Das habe ich nicht gesagt. Ich bitte dich nur darum, mir ein wenig Bedenkzeit zuzugestehen. Ich kaufe keinen Staubsauger, ohne mir vorher Gedanken gemacht zu haben. Da werde ich eine Entscheidung, die unsere ganze Familie betrifft, nicht einfach so übers Knie brechen. Es sei denn, du bist bereits fest entschlossen. Dann wäre meine Meinung nämlich gleichgültig.«
    Julia schüttelte den Kopf. »Nein. Wenn ich das wirklich durchziehe, brauche ich deine Unterstützung.«
    »Dann bitte ich dich darum, mir etwas Zeit zu geben. Du hast dich offenbar schon lange mit dem Gedanken beschäftigt, für mich ist er völlig neu. Jetzt von mir zu verlangen, mir innerhalb weniger Minuten eine Meinung zu bilden, wäre in meinen Augen unfair. Nicht nur mir, sondern auch dir gegenüber.«
    Sie presste die Lippen aufeinander. Dieses Ergebnis war unbefriedigend. Aber Marco hatte recht. Schon oft hatte seine Bedächtigkeit falsche Entscheidungen verhindert. Auch wenn es sie in diesem Fall nervte. »Okay«, brachte sie schließlich hervor und versuchte zu lächeln. »Dann reden wir morgen darüber.«
     
    Am nächsten Morgen beim Frühstück versuchte Julia, in Marcos Gesicht zu lesen. War er für das Studium oder dagegen? Er löffelte sein Müsli, aß seinen Toast und scherzte dabei mit den Kindern, die mehr oder weniger wach am Tisch saßen und ihren Kakao tranken. Weder mit einer Silbe noch mit einer Geste verriet er, welche Gedanken er sich gemacht hatte. Oder war er noch gar nicht zu einem Entschluss gekommen? Er verabschiedete sich von ihr und dem Nachwuchs mit einem Kuss, winkte und fuhr ins Büro, ohne dass Julia die Gelegenheit gehabt hätte, ihn nach seiner Meinung zu fragen.
    Als sie später die Kinder zur Schule und zum Kindergarten gefahren hatte und zu Hause angekommen war, grübelte sie darüber nach, was Marco gemeint haben könnte, als er sich mit den Worten »Bis heute Abend« verabschiedet hatte. Meinte er, bis zu ihrem Gespräch? Hatte er ihr aufmunternd
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