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Haus des Glücks

Haus des Glücks

Titel: Haus des Glücks
Autoren: Yvonne Winkler
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Handy.
    »Danke!« Sie wählte Marcos Nummer. »Kein Empfang«, sagte sie und begann am ganzen Körper zu zittern.
Was mochte das bedeuten – kein Empfang?
Sie betete – das Vaterunser, das Glaubensbekenntnis, das Ave-Maria, abermals das Vaterunser.
    Die Frau legte ihr einen Arm um die Schultern.
    »Familie?«
    »Ich kann meinen Mann nicht erreichen.«
    Sie nickte verständnisvoll.
    »Wir gehen zum nächsten Sammelpunkt«, sagte der Mann. »Vielleicht ist Ihr Mann dort. Und wenn nicht, bringt man Sie bestimmt nach Apia.«
    Der Weg zum Sammelpunkt kam ihr wie ein Alptraum vor. Sie quälten sich die Straße entlang an entwurzelten und umgeknickten Bäumen und Trümmern von Häusern vorbei. Eine Motoryacht lag mitten auf der Straße. Dann wandten sie sich landeinwärts, und sie kamen besser voran. Irgendwann kam ihnen ein Bus entgegen, der sie aufsammelte und nach Apia fuhr.
    In der Hauptstadt stellte sie fest, dass nur die Südküste der Insel von dem Tsunami betroffen war. Ein Glück im Unglück. Das Krankenhaus war nicht zerstört worden.
    Als sie dort ankamen, bedankte sich Julia. Sie ging in die Eingangshalle, die voller aufgeregter Touristen war. Verletzte wurden hereingebracht. In der Stadt heulten die Sirenen. Doch von Marco war weit und breit keine Spur.
    Irgendwann entdeckte sie mitten im Chaos Victor im grünen Chirurgen-Dress, der Mundschutz baumelte an seinem Hals. Er winkte ihr zu. »Gott sei Dank, du hast es geschafft«, sagte er. »Hast du deinen Mann gefunden?«
    »Nein! Und ich habe mein Handy verloren.«
    »Unter denen, die eingeliefert wurden, habe ich ihn bisher auch nicht gesehen.«
    »Du meinst …«
    »Ich weiß es nicht. Fühlst du dich in der Lage, uns zu helfen? Wir brauchen hier gerade jede Hand. Und Marco …«
    Er schwieg. Doch sie wusste, was er sagen wollte. Wenn Marco etwas passiert war, würde sie ihn am ehesten hier finden, im Krankenhaus, mitten unter den Verletzten.
     
    Die nächsten Stunden war Julia so beschäftigt, Verbände anzulegen, Wunden zu desinfizieren und Pflaster zu verteilen, dass sie ihre eigenen Sorgen fast vergaß. Gelegentlich sah sie Victor von weitem, wenn er aus dem OP kam oder auf dem Flur einen Verletzten untersuchte. Und auch Ajona lief ihr hin und wieder über den Weg. Irgendwann ebbte der Strom der Hilfesuchenden ein wenig ab, die meisten waren versorgt. Victor kam aus dem OP . Er ging zum Kaffeeautomaten und füllte einen Pappbecher, den er ihr reichte, bevor er sich selbst einen Kaffee nahm.
    Sie setzten sich auf zwei freie Plastikstühle im Wartebereich. Er sah müde, aber zufrieden aus. Adrenalin, das Lebenselixier aller Chirurgen auf der ganzen Welt.
    »Vielen Dank für deine Hilfe«, sagte er. »Du bist gut. Strukturiert, geschickt, du kannst zwischen notwendig und zweitrangig unterscheiden. Ich bin der Ansicht, du solltest unbedingt Medizin studieren. Wenn du möchtest, rede ich mit Marco.«
    »Mit Marco?« Julia schluchzte auf. »Weißt du, Victor, das ist mir jetzt gerade völlig gleichgültig. Ich bin bereit, mein Leben nur noch mit Kochen und Bügeln zu verbringen, wenn ich ihn dafür bei mir hätte! Am liebsten unverletzt.«
    Victors Pieper in der Brusttasche meldete sich. »Entschuldige mich kurz.« Er ging zu einem Telefon, das im Flur an der Wand hing. Er wählte, lauschte, schließlich winkte er Julia zu sich.
    »Für dich«, sagte er und reichte ihr den Hörer.
    »Ist das etwa …«, flüsterte sie. Ihre Hand zitterte so stark, dass sie den Hörer kaum halten konnte. »Hallo?«
    »Gott sei Dank, du lebst!«
    »Marco! Wo …«
    »Nachdem du dich nicht gemeldet hast, habe ich nach Victors Nummer gesucht. Jemand hat mir die Durchwahl vom Krankenhaus gegeben, und die haben ihn eben angepiept oder so. Na, jedenfalls bin ich froh, dass du lebst. Wie geht es dir?«
    »Mir geht es gut«, sagte sie, während ihr die Tränen über die Wangen liefen. »Ich bin … ich habe hier ein bisschen geholfen. Und wo bist du?«
    »Auf dem Weg ins Krankenhaus.«
    Sie presste die Lippen aufeinander. »Bist du …«
    »Nein, ich bin in Ordnung. Ich habe mir nur gedacht, dass ich dich dort am ehesten finde. Ich kenne dich doch.« Seine Stimme klang zärtlich. »Ich bin gleich dort. Ich kann schon den Eingang sehen.«
    »Ich komme nach unten!«
    Sie drückte Victor den Hörer in die Hand und rannte zum Treppenhaus. Nie zuvor hatte sie ein Stockwerk schneller überwunden. Es war, als würde sie fliegen.
    In der Eingangshalle warteten zahlreiche Menschen. Sie
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