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Haus der Sünde

Haus der Sünde

Titel: Haus der Sünde
Autoren: P Costa
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Schläfer wohl jetzt befinden? Es konnte sehr wohl sein, dass er sich noch immer ganz in der Nähe aufhielt. Die Vorstellung erschreckte sie zwar, doch höchstwahrscheinlich war der junge Mann obdachlos. Denn wenn man den Fluss als Badezimmer benutzte, dann war der freie Himmel aller Wahrscheinlichkeit nach seine Schlafzimmerdecke.
    Und was bist du? Auch diese Frage stellte sie ihm in Gedanken, während sie nackt vor dem Spiegel stand und sich eine leichte Feuchtigkeitscreme in das Gesicht rieb. Ein Teil ihrer Aufmerksamkeit galt nun ihrem eigenen Körper, ihrem eigenen, etwas zu kompakten Leib, der zwar für ihren Geschmack einfach zu starke Kurven aufwies, doch für eine Frau in den Vierzigern noch immer recht mädchenhaft wirkte. Der andere, größere Teil ihrer Aufmerksamkeit galt jedoch weiterhin dem rätselhaften Fremden.
    Ja, was war er?
    Ein Landstreicher oder vielleicht auch ein Aussteiger?
    Doch für einen Landstreicher sah er eigentlich zu jung aus und für einen Aussteiger viel zu gepflegt. Manchmal fuhren die Wohnwagen der New-Age-Leute durch das Dorf, auf dem Weg zu den uralten Steingruppen, die sich auf einem Hügel in der Nähe befanden. Aber das waren stets eine ganze Anzahl von Leuten. Ihr badender Fremder war eindeutig allein gewesen.
    Und wenn er ein entlaufener Sträfling war? Oder möglicherweise sogar ein Geistesgestörter, der aus einer Nervenheilanstalt ausgebrochen war? Claudia überlief es kalt, obwohl es im Badezimmer wohlig warm war. Wieder fragte sie sich, ob sich der Mann noch in der Nähe aufhielt.

    Sie schraubte den Deckel wieder auf das Cremetöpfchen und scheuchte diese bedrohliche Erklärung fort. Der geheimnisvolle Mann hatte zwar verwirrt, ja, in gewisser Weise sogar desorientiert gewirkt, aber alles in allem schien er genau zu wissen, was er tat. Und auch die Kleider, die sie in seiner Nähe entdeckt hatte – ein langes, dunkles Jackett, eine hellgraue Hose, die über einem Busch aufgehängt war, sowie Socken, Hemd und Unterhose, die auf einem Stein in der Sonne trockneten -, hatten nicht wie eine Gefängnis- oder Anstaltskluft ausgesehen. Es sei denn er hatte sie irgendwo nach seinem Ausbruch gestohlen …
    Wieder vernahm sie den Donner in der Ferne. Er klang, als ob riesige Felsbrocken aneinander schlugen – Claudia fasste nach ihrem roten Seidenkimono, den sie sich überzog. An diesem Abend wäre ihr der normale Frottee-Bademantel zu unerotisch und langweilig vorgekommen, während die schimmernde karmesinrote Robe – ein Geschenk von Gerald, das er ihr einmal von einer Reise in den fernen Osten mitgebracht hatte – genau die richtige Wahl für ihre verträumte, sinnliche Stimmung war. Die Seide fühlte sich auf ihrer Haut kühl und doch erregend an. Während sie die Treppe hinunterging, um sich für einen Abend sinnlicher Freuden vorzubereiten, spielte und schwang der Stoff wie eine lebhafte Brise um ihre Schenkel.
    Der geheimnisvolle Fremde sieht außerdem viel zu nett aus, als dass es sich bei ihm um einen Kriminellen handeln kann, dachte sie und nahm sich eine Flasche Weißwein – eine gepflegte 1990-Auslese, auf die sie sich wirklich freute – aus dem Kühlschrank. Natürlich konnte er dennoch verwirrt sein, das schloss sein nettes Gesicht nicht aus. Claudia wählte eines ihrer Lieblingsgläser von Riedel und trug es zusammen mit der dunklen Flasche deutschen Weins in das Wohnzimmer hinüber. Schließlich war es nicht so ganz üblich, sich in einem Fluss zu waschen.

    Nun gut, das alles sind bloße Spekulationen, redete sich Claudia zu, während sie den Wein einschenkte, es sich auf dem Sofa gemütlich machte und den CD-Spieler mit Hilfe der Fernbedienung anschaltete. Sie würde ihn niemals wiedersehen. Sie würde nicht einmal wissen, wie er bekleidet aussehen mochte.
    Die zarten ersten Klänge von Madame Butterfly erfüllten den Raum und sie genoss die Musik genauso wie die ersten Schlucke des kühlen Weins. Er war so fruchtig und spritzig, wie sie sich das erhofft hatte, und mit dem Geschmack überkam sie auch ein beruhigendes Gefühl von Vernunft. Der junge Mann vom Fluss war höchstwahrscheinlich überhaupt nicht so mysteriös und romantisch, wie sie sich das ausmalte, aber so konnte sie ihn sich für ihre Fantasien erhalten. Sie wollte ihn so lange als Bild benutzen, bis ein wirklicher Liebhaber eines Tages des Weges käme.
    Wieder donnerte es in der Ferne, und Claudia hatte das Gefühl, als sei der junge, mysteriöse Mann bei ihr. Sein kühler, jedoch höchst
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