Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Haus der Angst

Haus der Angst

Titel: Haus der Angst
Autoren: Carla Neggers
Vom Netzwerk:
Vater beim Angeln – für alle Zeit festgehalten.
    Traurig lächelte Lucy dem Bild des Mannes zu, den sie geliebt hatte. Sie hatten sich im College kennen gelernt und so jung geheiratet. Sie blickte auf das hübsche Gesicht, sein Lächeln, sein zerzaustes rotbraunes Haar. Sie hatte das Gefühl, dass die Zeit sie vorwärtsgetrieben und verändert hatte, während er derselbe geblieben war, unberührt vom Kummer und der Angst, die ihre Begleiter waren seit jenem Tag, als Colins Vater an ihre Tür klopfte und ihr sagte, dass sein Sohn – ihr Mann – gestorben war.
    Der bohrende Schmerz und der Schock der ersten Wochen und Monate hatten allmählich nachgelassen. Sie hatte gelernt, ohne ihn zurechtzukommen. Madison und J. T. auch – auf ihre Weise. Sie konnten über ihn reden und lachen und sich an ihn erinnern, ohne in Tränen auszubrechen – jedenfalls die meiste Zeit.
    „Die Sachen, die du sonst noch mitnehmen willst, kannst du in deinen Rucksack packen“, sagte Lucy, während sie sich von dem Foto löste. „Welches Buch liest du gerade?“
    „Eins vom
Krieg der Sterne
.“
    „Vergiss nicht, es einzupacken.“
    Sie zählte die Hemden, Hosen, Socken, Unterwäsche und überlegte, ob sie sich die Mühe machen sollte, den Keller und die Garage zu durchsuchen. Schließlich hatte J. T. nichts mit der Pistolenkugel in ihrem Auto zu tun.
    Sie legte die Kleidungsstücke auf sein Bett. „Das reicht für die Reise, mein Kleiner. Kannst du das alleine in deinen Koffer packen, oder brauchst du meine Hilfe?“
    „Das schaff ich schon.“
    „Vergiss deine Zahnbürste nicht.“
    Sie ging über den Flur in das Zimmer ihrer Tochter. Die Tür war geschlossen. Madison hörte Musik, aber nicht so laut, dass die Wände vibrierten. Wenn sie Hilfe brauchte, würde sie fragen. Lucy ließ sie allein.
    Ihr Schlafzimmer war unten. Auf dem Weg dorthin machte sie in der Küche Halt und setzte einen Kessel mit Wasser auf, um Tee zu kochen. Sie würde ihren Koffer später packen.
    Es war eine altmodische Wohnküche mit weißen Schränken, verkratzten Arbeitsflächen und sonnengelb gestrichenen Wänden. Die Farbe half, die langen, kalten Winternächte zu überstehen. Am meisten hatte es Lucy überrascht, wie dunkel die Nächte in Vermont waren.
    Sie sank in einen Stuhl vor dem Kiefernholztisch und starrte in den Garten hinter dem Haus. Wie oft hat Daisy das wohl gemacht in den sechzig Jahren, die sie hier allein lebte, fragte sie sich. Eine Tasse Tee, ein stilles Haus. Witwe Daisy. Witwe Swift.
    Es war dunkel geworden. Der lange Sommertag war endlich in die Nacht übergegangen. Lucy spürte, wie rings um sie die Stille herniedersank und die Abgeschiedenheit und Einsamkeit näher krochen. Manchmal schaltete sie den Fernseher oder das Radio ein, arbeitete an ihrem Laptop, verschickte E-Mails oder telefonierte mit einer Freundin. Heute Nacht musste sie packen. Wyoming. Meine Güte. Sie flog tatsächlich dorthin.
    Sie bereitete den Kamillentee und hielt den Becher in der Hand, als sie zur Haustür ging, um abzuschließen. Sie machte sich nichts vor: Die alten Schlösser wären kein Hindernis für einen zu allem entschlossenen Eindringling.
    Plötzlich vernahm sie ein Geräusch – möglicherweise der Wind – und ging zurück ins Esszimmer.
    Sie hatte es nicht betreten, seitdem sie eingezogen waren. Da waren immer noch der altmodische Schalter für die Deckenlampe aus Milchglas, Daisys handgewebter Läufer mit den ausgebleichten Farben, die Tapete mit den Rosenblättern, die wuchtigen Esszimmermöbel. An einer Wand stand ein Klavier aus den zwanziger Jahren.
    Lucy spürte eine Gänsehaut auf den Armen, als ein Windstoß durch das Zimmer wehte.
    Jemand hatte ein Fenster geöffnet. Schon wieder.
    Die hohen alten Fenster klemmten und ließen sich nur schwer öffnen. Da sie das Esszimmer im Sommer so gut wie nie benutzte, machte sich Lucy auch nicht die Mühe, mit ihnen fertig zu werden. Sie hatte sie reparieren lassen wollen, ehe das schöne Wetter einsetzte, aber sie war nicht dazu gekommen.
    Sie tastete mit einer Hand an der Wand entlang und betätigte den Lichtschalter. Es
musste
eins der Kinder gewesen sein. Wer sonst hätte sich in ihr Haus schleichen sollen, um ein Fenster zu öffnen?
    Das Licht der Lampe erzeugte dunkle Schatten. Es könnte wirklich ein fantastisches Zimmer werden. Irgendwann einmal würde sie das Klavier stimmen, den Teppich reinigen und den Holzboden abschleifen und neu ölen lassen. Sie würde es tapezieren lassen, den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher