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Hauptsache nichts mit Menschen (German Edition)

Hauptsache nichts mit Menschen (German Edition)

Titel: Hauptsache nichts mit Menschen (German Edition)
Autoren: Paul Bokowski
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EINER
ANDEREN WELT
    Es gibt Leute, die studieren Design. Die heißen Dennis oder Christian. So wie Christian und Dennis. Die heißen Dennis und Christian, weil sie 1979 geboren wurden und Dennis und Christian 1979 die beliebtesten Vornamen Deutschlands waren.
    Dennis und Christian wohnen im Friedrichshain, und weil sie nicht nur im selben Jahr, sondern auch noch am selben Tag geboren wurden – der Dennis und der Christian –, stehe ich jetzt hier in einer Designerwohnung im Friedrichshain, die entweder Dennis oder Christian gehört, und bin seit einer halben Stunde in eine intensive Konversation mit meinem Bier vertieft, während ich rhetorisch einwandfreien Partygesprächen lausche. Über gebürstete Bauhaus-Türklinken zum Beispiel und ob es für die Harmonie eines Raumes denn besser sei, ihn in »Mausgrau«, »Römisch Umbra« oder »Eierschale« zu streichen. Ich nehme noch ein Schluck von meinem Bier, einen tiefen.
    Ich bin übrigens der Einzige, der Bier trinkt, weil Dennis und Christian eifrig damit beschäftigt sind, jedem, der sich selbst durch die Tür hineindesignt, einen selbst gemixten Cocktail mit Zuckerrand in die Hand zu drücken. So wie Anna-Lena, die hat einen Mojito in der Hand und den Zuckerrand in ihrem Mundwinkel. Anna-Lena studiert Wirtschaftskommunikation. Das hat sie mir nicht gesagt, aber das sieht man. Genau genommen ist sie schon die dritte Anna-Lena, die mich an diesem Abend anquatscht. Ihre Vorgängerin war mir ziemlich unsympathisch, aber weil die neue Anna-Lena jeden ihrer Sätze mit »Meiner Meinung nach« anfängt und dann doch nur
Die Zeit
von vorgestern rezitiert, werde ich auch mit ihr nicht richtig warm und nippe beharrlich an meinem Bier.
    »Also meiner Meinung nach wird Kafka unheimlich überschätzt. Dieses Samsa’sche Dilemma, in einen Käfer verwandelt zu werden, hat doch in einer postindustriellen Dienstleistungsgesellschaft überhaupt keinen Wert mehr«, sagt Anna-Lena. Wenn ich es mir genau überlege, ist sie noch ein kleines bisschen schlimmer als Anna-Lena Nummer zwei.
    Seitdem sie mit mir redet, bin ich in einen tiefen Hospitalismus verfallen. Jedes Mal, wenn sie einen Satz beendet hat, nicke ich ihr halbherzig zu und nippe an meinem Bier, immer im Wechsel. Das geht seit gefühlten Stunden so. Irgendwann aber wird Anna-Lena ihre Selbstdarstellerei dann doch ein bisschen zu doof, sodass sie aus einer unangenehmen Stille heraus zu fragen beginnt. Ob ich auch hier im Kiez wohne zum Beispiel. Ich muss erleichtert lachen. Ich weiß ja auch, was kommt, und sage ihr, dass ich im Wedding wohne. Jetzt lacht sie. Wenn man Leuten im Friedrichshain, Kreuzberg, Prenzlauer Berg, Steglitz, Hannover oder Zehlendorf erzählt, dass man im Wedding wohnt, finden die das immer fürchterlich lustig. Es scheint für Friedrichshainer und Konsorten die natürliche Reaktion zu sein. Wahrscheinlich ist es ein bisschen so, als wollte mir jemand weißmachen, in Königs Wusterhausen zu wohnen, in Hannover oder Zehlendorf, da kriegte ich mich bestimmt auch nicht mehr ein vor Lachen. Das hat jetzt bestimmt eine halbe Minute gedauert, dass ich das gedacht habe. Anna-Lena aber lacht immer noch. Vielleicht gehe ich noch mal schnell aufs Klo, bevor sie merkt, dass ich es ernst meine, oder hole mir ein neues Bier aus dem kleinen Bulthaup-Kühlschrank im Wohnzimmer, der fast genauso aussieht wie die Bang-&-Olufsen-Stereoanlage.
    Wenn die Friedrichshainer aufhören zu lachen und ahnen, dass man es wirklich ernst meint mit dem Wedding, hat man meistens ganz schnell wieder seine Ruhe. Anna-Lena aber wird ganz fürchterlich neugierig. Wie ich denn dazu komme, im Wedding zu wohnen, will sie wissen, und ob das nicht fürchterlich gräulich sei, »also gräulich wie die Farbe.« – »Ach, eigentlich gefällt’s mir da ganz gut«, sage ich. »Ich bin da irgendwie gestrandet.«
    An »irgendwie« glaubt Anna-Lena aber nicht, sagt sie. Das hätte sie nie getan. »Inwieweit, denkst du denn,
bist
du der Wedding?« Anna-Lena war früher auf einer Waldorfschule. Die möchten immer wissen, inwieweit man ein Stadtteil ist oder eine Farbe. Aber was erwartet man auch von Menschen, die ihren Namen tanzen können?
    Anna-Lena habe ich jetzt ein bisschen heiß gemacht. Während ich versuche, auf ihre Wedding-Frage zu antworten und etwas von Jogginghosen und regelmäßigem Duschen erzähle, schart sich eine kleine Gruppe von Partygästen um uns herum, um einen Blick auf das Weddinger Kuriosum zu werfen. »Dennis und
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