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Hassbluete

Hassbluete

Titel: Hassbluete
Autoren: Agnes Kottmann
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aber gleichzeitig auch totaler Quatsch. Ich konnte nicht anders, als laut loszuprusten und zu fragen: »Spinnst du?« Ich meine, was bildete er sich denn ein? Ich war älter als er und dreimal cooler. Dass wir beide nicht zusammenpassten, sah ja ein Blinder.
    Danach war er dann wohl so unsicher, dass er sich nie mehr traute, eine SMS direkt und ausschließlich an mich zu schicken. So wusste man bei seinen Nachrichten nie, ob es eine reine Info war, eine Bitte oder eine Art Anweisung. Er nannte es später mal eine »offene« Einladung – Teilnahme freiwillig. Ja, was denn sonst? Dass er extra darauf hinweisen musste, verriet ja schon, dass es eigentlich zumindest eine Aufforderung, wenn nicht sogar ein halber Befehl war. Auf irgendeine Art setzte einen das unter Druck, weil man das Gefühl hatte, reagieren zu müssen. Mike und ich versuchten zwar, dieses Gefühl zu ignorieren, aber jetzt im Nachhinein weiß ich, dass dieses Gefühl ein Zeichen dafür war, dass er uns doch nicht ganz egal war. Das Gegenteil von Liebe ist nämlich nicht Hass, sondern Gleichgültigkeit.
    Endlich war ich in der Schlange bis ganz nach vorne an den Tresen gerückt. Jetzt entdeckte mich auch Robins Mutter: »Ah, hallo Michelle«, sagte sie. »Wo hast du Robin gelassen?« Sie hielt uns offenbar immer noch für die dicksten Freunde.
    »Ist er nicht hier?«, tat ich erstaunt. »Ich dachte, er hätte vorhin mit dir telefoniert.«
    »Mit mir?«, fragte Robins Mutter, als käme es nur alle hundert Jahre mal vor, dass Robin sie anrief. »Welchen Bagel willst du?«, fragte sie und gab mir damit zu verstehen, dass es okay war, dass ich vor allem auch wegen des Gratis-Bagels vorbeigekommen war.
    »Welchen mag Robin denn am liebsten?«, fragte ich, weil ich keine Lust hatte, einen auszuwählen.
    »Alles außer Fisch«, sagte seine Mutter. »Du weißt doch, Robin mag keinen Fisch und kein Wasser.«
    Nein, das wusste ich nicht. Die Erinnerung an das, was Mike und ich mit ihm gemacht hatten, durchzuckte mich wie ein Blitz. Aber selbst wenn ich es gewusst hätte – vielleicht hätten wir es dann sogar erst recht getan? Weil wir ihn ja in diesem Moment richtig ärgern wollten? Wir wollten ihm klarmachen, dass er uns einfach nur in Ruhe lassen sollte. Wenn er sich nicht dieses eine Mal gewehrt und nicht den Kopf eingezogen hätte, vielleicht hätten wir ihn dann einfach nur weiter wie Luft behandelt …
    Wieder kam ich ins Grübeln, wen Robin da vorhin angerufen hatte und wer »Tsunami« war?
    Ganz in Gedanken stotterte ich: »Ähh, dann den Lachs-Bagel …, bitte.«
    Lisa Richter runzelte irritiert die Stirn, als hätte ich Robin damit verletzt. Es war oft so ein Impuls in mir, instinktiv das Gegenteil von dem zu tun, was die anderen von mir erwarteten.
    Kurz darauf reichte sie mir ohne ein weiteres Wort die Tüte mit dem Bagel über die Theke, ich bedankte mich und fragte sie jetzt doch nach Robin.
    »Ich dachte, du wüsstest, wo er steckt? Ihr unternehmt doch sonst immer was«, sagte sie.
    Ich hätte Nein sagen können, es lag mir schon auf der Zunge. Stattdessen sagte ich bloß: »Aber nicht jeden Nachmittag.«
    »Soll ich ihm sagen, dass du nach ihm gesucht hast?«
    Das war ja wohl völlig übertrieben.
    »Nein, ich sag’s ihm selber.«
    Ich bedankte mich noch mal und verließ dann den Shop. Draußen sah ich auf die Uhr und fuhr dann noch mal zur Schule zurück. Es war bereits kurz nach vier – Mikes Nachhilfe würde zu Ende sein.
    Wenig später stand ich zum zweiten Mal an diesem Tag bei den Fahrradständern und wartete auf ihn. Ich wollte jetzt nach Hause, aber bei Mike konnte man nie wissen, ob er nicht lieber den Nachmittag noch auf irgendeiner Bank oder in der Stadt totschlagen wollte. Er hatte meistens keine Lust, nach Hause zu fahren. Kein Wunder bei der Mutter. Sie bewachte ihn, als sei er erst drei Jahre alt. Keinen Schritt konnte er tun, ohne, dass sie fragte, wohin er wollte. Das nervte total! Auch mich! Mikes Zuhause war ein goldener Käfig, in dem eine ziemliche Eiseskälte herrschte. Die Stimmung zwischen seinen Eltern war selten gut, und je schlechter sie wurde, desto mehr hängte sich Mikes Mutter an ihn. Dabei war Mike sogar schon siebzehn Jahre und damit eine Klasse über mir. Robin war mit fünfzehn der Jüngste von uns.
    Die Saalfelds waren die Einzigen in unserer Gegend, die wirklich Geld hatten und sich diesen schicken Bungalow ein Stück die Straße runter leisten konnten. Aber dass Geld auch nicht wirklich glücklich macht,
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